DIE LINKE im Bundestag
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Matthias W. Birkwald

Rentenarmut und Altersarmut - gegen Dramatisierung und Beschwichtigung

13.06.2013

Es stimmt, dass sich die Situation von Rentnerinnen und Rentnern aktuell nicht ganz so dramatisch darstellt, wie es in dieser Woche den Anschein haben konnte. Tatsächlich lebt derzeit nicht die Hälfte von ihnen von weniger als 700,00 Euro gesetzlicher Rente, wie dies die BILD-Zeitung suggerierte. Viele Rentnerinnen und Rentner haben zusätzliche Einkünfte. Dennoch: Von Entwarnung kann keineswegs die Rede sein!

2003 trat das Sozialgesetzbuch XII (SGB XII), also die „Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung“ in Kraft. Seither ist die Zahl der Grundsicherungsbeziehenden allein bis zum Jahr 2010 um satte 80% gestiegen! Von ehemals 439.000 Menschen im Jahr 2003 auf 797.000 im Jahr 2010. Davon waren 436.210 älter als 65 Jahre. Ihre Zahl war von 2003 bis 2010 um 69% gestiegen.

Sie sind die offiziell in Altersarmut Lebenden. Die offizielle Armutsrisikoquote der über 65jährigen lag im Jahr 2010 bei 14,2 Prozent.

Hinzu kommt aber, dass etwa die Hälfte all derjenigen, die einen Anspruch auf die Grundsicherung im Alter haben, diese nicht beantragen. Die Dunkelziffer liegt nach einer Studie von Irene Becker zwischen 60 und 68 Prozent und somit irgendwo zwischen 1,1 und 1,4 Millionen.[1] Stolz, Scham oder Unwissen halten die Menschen davon ab, die sogenannte Grundsicherung überhaupt in Anspruch zu nehmen.

Die Rentenzahlbeträge sinken stetig. Im Jahr 2000 erhielten langjährig Versicherte, also jene mit 35 Versicherungsjahren und mehr, noch durchschnittlich 1021 Euro Rente überwiesen, im Jahr 2011 waren es nur noch 953 Euro. Jeder Jahrgang, der neu in Rente geht, erhält im Schnitt weniger Rente als der Jahrgang zuvor. Wer in 2012 in Altersrente ging erhielt durchschnittlich nur noch 716 Euro. Bei Frauen im Westen waren es nur magere 493 Euro!

Wen verwundert es dann noch, dass auch die Zahl der ausschließlich in einem Minijob arbeitenden Menschen im Rentenalter zwischen den Jahren 2000 und 2011 um knapp 60% gestiegen ist?[2]

Nun hat es leider verheerende Entscheidungen der SPD-Grünen Regierung für den Arbeitsmarkt gegeben. Diese führten zur Explosion des Niedriglohnsektors, zu Lohndumping, schlecht bezahlter Leiharbeit, Minijobs usw.

Inzwischen wird fast ein Viertel aller Beschäftigten im Niedriglohnsektor ausgebeutet. Im Jahr 2010 lag der durchschnittliche Stundenlohn im Niedriglohnsektor bei 6,68 EUR in Westdeutschland und 6,52 EUR im Osten.[3] Niedrige Löhne bedeuten demnach per se niedrige Renten

Durch die Einführung von Kürzungsfaktoren in die Rentenanpassungsformel wird das Sicherungsniveau der gesetzlichen Rente vor Steuern von knapp 53% im Jahr 2001 auf bis zu 43% im Jahr 2030 sinken. So steht es als Möglichkeit schon heute im Gesetz. Die Renten verlieren damit ein Fünftel ihres Wertes. Das muss verhindert werden, denn dadurch entsteht nach und nach eine immer größer werdende Versorgungslücke. Um diese zu schließen, wurde ein simples aber sinnloses Konzept erarbeitet.

Alle Versicherten sollen neben der gesetzlichen Rente noch vier Prozent ihres Bruttoeinkommens in eine Riester-Rente einzahlen. Das wird auch von Menschen mit ohnehin schon geringen Einkommen erwartet, z.B. von den immerhin 23% Vollzeitbeschäftigten, die im Jahr 2012 höchstens 1.800 Euro brutto verdienten. Die Riester-Rente sollte den Niveauverlust der gesetzlichen Rente sogar überkompensieren. Sie wird aber die Lücke in der Altersvorsorge nicht einmal annähernd schließen können. Wesentlich weniger Arbeitende riestern als ursprünglich kalkuliert. Im März vergangenen Jahres gab es 15,5 Millionen Riester-Verträge. Das sind gerade einmal zwischen 37 und 41 Prozent der potenziellen Sparer_innen. Und derzeit sind es nur 15,6 Millionen. Verträge, nicht Riester-Sparer_innen. Das heißt: Die Mehrheit derer, die eine Rentenlücke zu füllen haben, riestern nicht. Ein Hauptgrund: Ihnen fehlt schlicht das Geld für die Prämien. Und außerdem sind die Zinsen und Renditen mickrig.

Den Menschen mit niedrigen Einkommen nützt Riester nichts. Dafür hat sich die Riester-Rente in erster Linie als ein gigantisches Förderprogramm für die Versicherungswirtschaft erwiesen. 12 Milliarden Euro an Steuergeldern sind zwischen 2002 und 2012 in Form von Subventionen in die Riester-Rente geflossen. 11 Milliarden davon flossen an die Versicherer, 1 Milliarde ging an die Versicherten. Gründe genug, dass die Menschen ihre Riester-Verträge freiwillig und kostengünstig in die Gesetzliche Rentenversicherung überführen können sollten. Das haben wir LINKEN vorgeschlagen.

Auch bei der „Rente erst ab 67“ handelt es sich um ein drastisches Kürzungsprogramm. Die wenigsten Menschen schaffen es bis 65, sozialversicherungspflichtig beschäftigt zu sein. Genau genommen sind es nur 14,2 Prozent der 64-Jährigen. Vollzeitbeschäftigt sind unter den 60- bis 64-Jährigen nur 19,4 Prozent. Bei den Frauen sind es sogar nur 5,9 Prozent Vollzeitbeschäftigte.

Die „Rente erst ab 67“ bedeutet, kurz gesagt, mehr Abschläge (bis zu 14,4 Prozent) für eine noch größere Personengruppe und somit Kürzungen.

Diese Zahlen und die dahinter stehenden realen Entwicklungen sind schon bei Einigen angekommen. Die Altersarmut droht künftig weiteren Teilen der Bevölkerung. Deshalb ist die Rentenpolitik auch ein großes Wahlkampfthema im Bundestagswahlkampf. Nun stehen die Regierungsfraktionen und auch die Parteien (SPD und Grüne), denen wir das Kürzungsprogramm zu verdanken haben, vor einer großen Aufgabe: Sie müssen ein Rentenkonzept entwickeln, das sich nach mehr anhört, nach einer deutlichen Verbesserung. Zugleich dürfen sie die Rentenpolitik der vergangenen zehn Jahre nicht diskreditieren. Wir LINKEN haben es da etwas leichter. Wir wollen das Rentenniveau wieder auf das des Jahres 2000 anheben, also auf die Höhe, bevor SPD und Grüne die gesetzliche Rente kaputtreformiert haben.

Zunächst einmal sind Gute Arbeit und Gute Löhne Voraussetzungen für eine Gute Rente, die den erarbeiteten Lebensstandard sichert. Derzeit ist ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn in Höhe von zehn Euro brutto pro Stunde hier die dringend notwendige absolute Untergrenze. Rechnet man das künftig sinkende Rentenniveau mit ein, müssten es heute eigentlich schon 11,31 Euro sein.

Die Rente erst ab 67 lehnen wir ohne Wenn und Aber ab; ebenso die ungerechten Abschläge auf Erwerbsminderungsrenten. Vielmehr sollen alle Menschen ab dem 60. Lebensjahr abschlagsfrei in Rente gehen können, wenn sie 40 Jahre lang rentenversichert waren. Außerdem fordert DIE LINKE, alle Erwerbstätigen in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen, also auch Beamt_innen, Selbständige und Politiker_innen. Mittelfristig muss ohne Beitragsbemessungsgrenze gelten: Je höher das Erwerbseinkommen, desto höher die Einzahlungen in die Rentenversicherung. Damit ein Umverteilungsspielraum entsteht, müssen die hohen Rentenansprüche abgeflacht werden. Auch die Arbeitgeber_innen müssen sich – wie früher - zur Hälfte an der Finanzierung der wieder den Lebensstandard sichernden gesetzlichen Rentenversicherung beteiligen. Für die Arbeitnehmer_innen wäre das unter dem Strich sogar günstiger als heute mit Riester und Betriebsrenten. Millionär_innen, Großerb_innen und Spitzenverdiener_innen müssen über höhere Steuern stärker in die Pflicht genommen werden. Damit können Maßnahmen für den Solidarausgleich in der Rente finanziert werden, also z.B. dass Mütter oder Väter für alle ihre Kinder je gut 84,00 Euro auf dem Rentenkonto gutgeschrieben bekommen.

DIE LINKE. steht für Gute Arbeit, Gute Löhne und eine Gute Rente für die Lebensstandardsicherung. Wir kämpfen für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn, eine sanktions- und repressionsfreie soziale Mindestsicherung an Stelle von Hartz IV und eine Solidarische Mindestrente, die ihren Namen verdient, zur Vermeidung und Bekämpfung von Armut und Altersarmut. Unser Ziel lautet: Niemand soll von weniger als 1050,- Euro im Alter leben müssen.

Matthias W. Birkwald

[1] vgl. Irene Becker: Finanzielle Mindestsicherung und Bedürftigkeit im Alter. In: Zeitschrift für Sozialreform 2/2012 (eigene Berechnungen) Online: http://www.boeckler.de/impuls_2012_13_2.pdf (letzter Zugriff 06.05.2013)

[2] vg. Bundesagentur für Arbeit, Beschäftigungsstatistik: Geringfügig entlohnte Beschäftigte nach Altersgruppen. Deutschland – Zeitreihe, Nürnberg 2012.

[3] vgl. Thorsten Kalina/Claudia Weinkopf, Niedriglohnbeschäftigung 2010: Fast jede/r Vierte arbeitet für Niedriglohn, IAQ-Report 1/2012.