Dieses Interview führte der „Versicherungsbote“ mit Matthias W. Birkwald im September 2021. Teil 1 und Teil 2 finden Sie hier zusammengefügt.
Wie wollen die Parteien, die bei der anstehenden Bundestagswahl Chancen auf einen Einzug in den Deutschen Bundestag haben, das Rentensystem reformieren? Und wollen sie es überhaupt? Hierzu hat der Versicherungsbote einen gleichlautenden Fragebogen an die Parteien geschickt. Für die Linke antwortete Matthias W. Birkwald, Parlamentarischer Geschäftsführer und Rentenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion DIE LINKE.
Versicherungsbote: Mein Eindruck: Fast alle Parteien, die zur Bundestagswahl 2021 antreten, halten das Rentensystem und die Altersvorsorge für reformbedürftig. Würden Sie für Ihre Partei zustimmen — weshalb muss der Status Quo verändert werden? Welche Elemente im Rentensystem wollen Sie beibehalten, weil Sie sagen: Das hat sich so bewährt?
Matthias W. Birkwald: Wir LINKEN wollen eine gesetzliche Rente, die den Lebensstandard wieder sichern möge und die zuverlässig vor Armut im Alter und Erwerbsminderung schützt. Das ist für viele Menschen die Grundlage für ein sorgenfreies und selbstbestimmtes Leben. Nur mit einer reformierten gesetzlichen Rente ist außerdem sichergestellt, dass Erwerbsunterbrechungen oder -ausfälle aufgrund von Arbeitslosigkeit, Kindererziehung oder der Pflege Angehöriger, aber auch Zeiten der Beschäftigung im Niedriglohnsektor im Alter nicht zwangsläufig zu Armut führen.
Wie bewerten Sie die aktuelle Bedrohung durch Altersarmut in Deutschland? Müssen die Bundesbürger Altersarmut fürchten — und was kann dagegen getan werden?
Schon heute gelten nach der offiziellen EU-Statistik 18 Prozent aller Menschen ab 65 Jahren als arm. In absoluten Zahlen sind das 1,3 Millionen Männer und 1,7 Millionen Frauen, also drei Millionen Menschen. (EU-SILC 2019: Haushaltseinkommen weniger als 1.176 Euro). Altersarmut ist also schon heute Realität.
Um das Verhältnis von angemessenen Löhnen, einer existenzsichernden Mindestsicherung und einem lebensstandardsichernden Rentenniveau wieder in ein ausgewogenes Gleichgewicht zu bringen, fordert DIE LINKE die schrittweise Anhebung des Rentenniveaus auf lebensstandardsichernde 53 Prozent, so wie im Jahr 2000, und die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf 13 Euro.
Die von mir erfragten Zahlen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zeigen, dass wir von einem angemessenen gesetzlichen Mindestlohn aktuell sehr weit entfernt sind: Damit man ohne Anspruch auf die sogenannte „Grundrente“ nach 45 Jahren Arbeit nicht gezwungen wäre, zum Sozialamt (Grundsicherungsschwelle 2020: 835 Euro) zu gehen, müsste der gesetzliche Mindestlohn heute 12,12 Euro brutto betragen und nicht 9,60 Euro.
Die Wiederanhebung des Rentenniveaus auf 53 Prozent bedeutet in Euro und Cent: Wer derzeit die aktuelle Durchschnittsrente von 1.048 Euro erhält, erhielte dann 1.150 Euro, also rund 100 Euro mehr im Monat. Das Rentenniveau von derzeit 48,3 Prozent (ohne Revisionseffekt) kann problemlos innerhalb einer Wahlperiode auf 53 Prozent angehoben werden. Das kostete Beschäftigte und Arbeitgeber*innen bei einem durchschnittlichen Verdienst von 3.462 Euro nur je circa 34 Euro mehr im Monat.
Außerdem wollen wir Zeiten niedriger Löhne ausgleichen. Die von der Großen Koalition beschlossene sogenannte „Grundrente“ greift hier zu kurz. Wir wollen die »Rente nach Mindestentgeltpunkten« auch für Zeiten nach 1992 einführen und verbessern.
Zeiten der Erwerbslosigkeit, der Kindererziehung und der Pflege bewerten wir höher, damit sie nicht zu Armutsrenten führen.
Und wir wollen eine einkommens- und vermögensgeprüfte Solidarische Mindestrente von 1.200 Euro netto für all jene Menschen ab 65 und bei Erwerbsminderung einführen, die trotz dieser Reformmaßnahmen in der Rente ein zu niedriges Alterseinkommen haben, um davon leben zu können. Die Solidarische Mindestrente wird deshalb von der Rentenversicherung an alle Menschen im Rentenalter als Zuschlag gezahlt, die im Alter weniger als 1.200 Euro Nettoeinkommen haben. Die Solidarische Mindestrente ist einkommens- und vermögensgeprüft, das heißt, um sie zu erhalten, darf man maximal eine ortsübliche Immobilie sein Eigen nennen und nicht mehr als knapp 70.000 Euro Vermögen haben. Die Solidarische Mindestrente soll ausschließlich aus Steuern finanziert werden.
Mehrere Wirtschaftsforschungsinstitute, u.a. das DIW Berlin, plädieren dafür, die Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rente an die steigende Lebenserwartung anzupassen. Die Begründung: immer mehr Rentnerinnen und Rentner stehen weniger Erwerbspersonen gegenüber. Werden die Deutschen künftig länger arbeiten müssen? Wenn nein: Was wären Alternativen, um eine längere Lebensarbeitszeit abzuwenden und dennoch den Rentenbeitrag stabil zu halten?
Der demographische Wandel ist politisch gestaltbar und keine Naturkatastrophe, gegen die nur Rente kürzen oder länger arbeiten hülfe. Länger arbeiten heißt aber nichts anderes als die Rente zu kürzen - und zwar bei zu vielen leider auf null Euro. 27 Prozent der Männer mit weniger als 60 Prozent des Durchschnittslohnes sterben vor ihrem 65. Geburtstag, bei Frauen sind es 13 Prozent. Jede und jeder Sechste musste 2019 vorzeitig wegen Krankheit eine Erwerbsminderungsrente beantragen. Das Durchschnittsalter lag hier bei 53 Jahren. Chronische Krankheiten und Erwerbsminderungsrenten sind heute eines der größten Armutsrisiken. Bei diesen Zuständen auf dem Arbeitsmarkt verbietet sich jede Debatte über eine Anhebung der Regelaltersgrenze. Wir LINKEN lehnen eine Rente erst ab 67 und erst Recht eine Rente erst ab 70 ab. Wer so etwas fordert, hat nicht alle Tassen im Schrank.
Eine gute Rente ist mit einer moderaten Beitragssatzerhöhung und der Rückkehr zu einer echten Parität auch bei der Zusatzvorsorge langfristig finanzierbar, wenn man denn politisch will. Zur Gestaltbarkeit nur eine Zahl von dieser Woche. Eine neue Studie des arbeitgebernahen IW Köln hat ergeben: 70 Prozent aller Mütter mit Kindern unter drei Jahren gehen keiner Erwerbsarbeit nach, aber nur bei 27 Prozent entspricht das auch dem Wunsch der Mutter. Der häufigste Grund: fehlende gute Kinderbetreuungseinrichtungen. Und wir wissen auch: 100.000 mehr Beitragszahlende bringen im Jahr eine halbe Milliarde Euro in die Rentenkasse.
Zu guter Letzt: Arbeiten nach der Regelaltersgrenze lohnt sich heute schon. Pro Monat erhält man 0,5 Prozent mehr Rente und erwirbt zusätzlich Entgeltpunkte. Nach zwei Jahren hat man gut 17 Prozent mehr Rente. Anreize zum längeren Arbeiten sind genug da. Jetzt liegt es doch nur noch an den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern, endlich mal in alters- und alternsgerechte Arbeitsplätze zu investieren statt immer wieder eine Rente erst ab 70 per Gesetz zu fordern.
Wie positioniert sich Ihre Partei zu einer Altersvorsorge-Pflicht für Selbstständige – und wie könnte diese gestaltet sein? Mindestens 700.000 Selbständige sorgen nicht für ihr Alter vor, so eine DIW-Studie. Dennoch haben diese Menschen im Alter Anrecht auf Grundsicherung und werden mit Steuergeldern aufgefangen.
Als LINKES Kernprojekt beziehen wir alle Erwerbstätigen in die gesetzliche Rentenversicherung ein. Dazu haben wir ein Konzept entwickelt, das Solidarität und soziale Gerechtigkeit mit finanzieller Solidität und Stabilität verbindet. Wir stärken damit die gesetzliche Rentenversicherung und verhindern Armut im Alter und bei Erwerbsminderung. Unser Konzept der Solidarischen Erwerbstätigenversicherung bietet eine gesetzliche Alterssicherung auch für bislang nicht versicherte Selbstständige, Freiberufler*innen, Beamt*innen, Manager*innen und Politiker*innen. Wir wollen, dass alle Erwerbstätigen Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung zahlen. Wichtig ist aber auch, genau zu prüfen, welche Möglichkeiten sich anbieten, die Auftraggeber und Auftraggeberinnen in einem Umfang an den Sozialversicherungsbeiträgen zu beteiligen, der im Wesentlichen dem Arbeitgeberanteil entspricht. Leider hat es die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode versäumt, einen Gesetzentwurf vorzulegen.
Die LINKE: "Die Riester-Rente und das 3-Schichten-Modell sind krachend gescheitert!"
Wie wollen die Parteien, die bei der anstehenden Bundestagswahl Chancen auf einen Einzug in den Deutschen Bundestag haben, das Rentensystem reformieren? Und wollen sie es überhaupt? Hierzu hat der Versicherungsbote einen gleichlautenden Fragebogen an die Parteien geschickt. Teil 2 widmet sich der privaten Altersvorsorge. Für die Linke antwortete Matthias W. Birkwald, Parlamentarischer Geschäftsführer und Rentenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion DIE LINKE.
Die betriebliche und private Altersvorsorge werden durch dauerhaft niedrige Zinsen am Kapitalmarkt belastet: Die Anbieter sind gesetzlich gezwungen, große Teile der Beiträge in Anleihen zu investieren, sofern sie Garantien bieten. Die Deutsche Aktuarvereinigung (DAV) warnt, vollständige Beitragsgarantien seien mit den niedrigen Zinsen bei mehreren Vorsorgeformen nicht mehr darstellbar. Brauchen hier Versicherer, Pensionskassen und -fonds mehr Freiheiten, etwa dass sie Garantien beschneiden und das Geld stärker in Aktien und Fonds investieren können?
Matthias W. Birkwald: Betriebsrenten und private Vorsorge dürfen nicht dazu missbraucht werden, die willkürlich in die gesetzliche Rente gerissenen Löcher zu stopfen. Alterssicherung kommt von „Sicherheit“, Altersversorgung kommt von „versorgen“. Betriebliche Altersversorgung bedeutet also: Der Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin versorgt ihren Mitarbeiter oder seine Mitarbeiterin im Alter mit einer garantierten, also einer sicheren Betriebsrente als Anerkennung für lange Betriebszugehörigkeit, für unentgeltlich geleistete Überstunden usw. Eine sichere, planbare und verlässliche Zusatzrente im Alter, überwiegend oder ganz und freiwillig durch die Chefin oder den Chef finanziert, das ist echte betriebliche Altersversorgung. Fallen die Garantien weg, dann können sich die Beschäftigten noch nicht einmal sicher sein, dass sie ihre eigenen Beiträge zurückerhielten, wenn sie im Alter auf die Betriebsrente angewiesen wären.
Befürworter und Befürworterinnen argumentieren dann mit höheren Chancen, verschweigen aber, dass allein die Beschäftigten das Kapitalmarktrisiko zu tragen haben. Wenn sie Pech haben, sind also nicht nur ihre eigenen Beiträge verloren, sondern auch die des Arbeitgebers oder der Arbeitgeberin. Wenn es nur um Menschen mit hohen Gehältern ginge, wäre es völlig anders. Wir reden aber auch über Beschäftigte mit 2.000 bis 2.500 Euro Bruttoeinkommen im Monat. Die haben keinen Cent übrig zum Zocken. Sie werden im Alter eine niedrige gesetzliche Rente haben und brauchen darum sichere Betriebsrenten und nicht das Risiko, nicht einmal die Beiträge zurückzuerhalten. Auch die Gewerkschaften sagen, das Kapitalmarktrisiko darf nicht allein auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer abgeschoben werden.
Nein, auch bei den Betriebsrenten braucht es einen Neustart. Deshalb sagen wir: Weg mit der Entgeltumwandlung, mit der man sich nur die eigene gesetzliche Rente kürzt und eine ganz klare gesetzliche Pflicht, dass Betriebsrenten zukünftig zu mindestens 50 Prozent von den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern finanziert werden müssen. Denn die Verbraucherzentrale Bayern hat nachgerechnet und kam genau zu diesem Schluss: „Wenn sich der Arbeitgeber nicht mit einem nennenswerten Beitragszuschuss einbringt, drohen deutliche Einbußen", warnt sie. Je nach Alter sollte der Arbeitgeberanteil wenigstens 40 Prozent betragen.
Vom Niedrigzins betroffen ist auch die staatlich geförderte Riester-Rente, die für einen Markt mit stabilen Zinserträgen „designt“ wurde. Das Neugeschäft stagniert seit Jahren. Wofür plädieren Sie: Neustart oder Abstellgleis? Welche Reformen könnten Riester wieder populärer machen?
Die Riester-Rente und das sogenannte Drei-Schichten-Modell sind krachend gescheitert. Die Riester-Rente ist ineffizient wegen der hohen Verwaltungskosten, die Riester-Rente ist intransparent, weil die hohen Kosten und die schmalen Renditen für die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht erkennbar sind, die Riester-Rente ist ineffektiv, weil das Ziel, die Versorgungslücke zu schließen, nicht erreicht wird, und die Riester-Rente ist sozial ungerecht, weil die staatlichen Subventionen von weit mehr als 40 Milliarden Euro vor allem in die Taschen der Versicherungsunternehmen und Banken geflossen sind.
Aus all diesen Gründen fordert DIE LINKE: Die milliardenschwere Riester-Förderung muss jetzt gestoppt werden. Der Anteil der Beschäftigten mit einer Riester-Rente ging nach den Angaben des BMAS seit 2012 von 35,6 auf 29,6 Prozent (2019), also um 5,6 Prozentpunkte, zurück. Da auch die Verbreitung der Betriebsrenten stockt, sorgen nur noch 18,1 Prozent der Beschäftigten in allen drei Schichten vor (2012: 20,2 Prozent). Auch der Anteil der Beschäftigten ohne jegliche Zusatzvorsorge steigt. Er liegt heute bereits bei 34,5 Prozent!
Anstatt die von Arbeitgeber:innen und Beschäftigten paritätisch finanzierte gesetzliche Rente zu stärken, wollen die Union und die Versicherungswirtschaft noch mehr Steuergelder im Milliardengrab Riester versenken. Das ist in Zeiten dauerhaft niedriger Zinsen völlig absurd. DIE LINKE im Bundestag hat ein Vier-Punkte-Konzept vorgelegt und vorgeschlagen, die Förderung der Riester-Rente einzustellen und stattdessen freiwillige Beitragszahlungen in die gesetzliche Rente zu erleichtern.
Wir wollen die sozialabgabenfreie Entgeltumwandlung abschaffen und die staatliche Förderung der privaten Altersvorsorge einstellen. Die frei werdenden Finanzmittel wollen wir für Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung einsetzen. Selbstverständlich soll es Vertrauensschutz für die bereits eingezahlte Eigenbeiträge und die erhaltenen Riesterzulagen geben.
Riestersparerinnen und -sparer erhalten das Recht, das angesparte Kapital freiwillig in die umlagefinanzierte gesetzliche Rentenversicherung zu überführen, sodass dadurch Anwartschaften auf ihrem persönlichen Rentenkonto bei der Deutschen Rentenversicherung entstehen. Die Wechselkosten des Riester-Vertrags werden auf ein sachlich gebotenes Minimum begrenzt. Von den Rentenversicherungsträgern werden keine Kosten für die Überführung erhoben.
Allen gesetzlich Rentenversicherten sowie deren Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern möge die Möglichkeit eröffnet werden, ab dem vollendeten vierzigsten Lebensjahr freiwillige Zusatzbeiträge (§187a SGB VI) in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen.
Die bisherige Begrenzung auf zu erwartende Abschläge möge gestrichen und stattdessen die kalenderjährliche Beitragshöhe auf das Dreifache der Bezugsgröße (2020: 9.870 Euro) begrenzt werden.
Von diesem Konzept könnten Millionen von Versicherten profitieren, indem ihre gesetzliche Rente stiege. Meine Gewerkschaft, die IG Metall, nutzt dieses Instrument bereits tausendfach bei den kleinen Unternehmen. Es gibt seit 2018/2019 immer mehr Tarifverträge für freiwillige Zusatzbeiträge in die gesetzliche Rente im Metallhandwerk, bei Tischlern und im Heizung-Sanitärhandwerk in Hamburg, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, NRW und noch viele mehr. Da legen die die Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen bei ihren Beschäftigten ab dem 50sten Lebensjahr 50 Euro im Monat auf die eigenen freiwilligen Zusatzbeiträge drauf. Das ist unbürokratisch, paritätisch finanziert und steigert die gesetzliche Rente!
Die deutsche Bevölkerung gilt als vergleichsweise kapitalmarktscheu und sicherheitsorientiert in der Altersvorsorge. Trotz steigendem Trend ist nur etwa jeder Sechste (17,5 Prozent) ab 14 Jahren in Aktien, Aktienfonds und ETFs investiert: deutlich weniger als in anderen Industriestaaten. Würden Sie eine breitere Aktionärskultur in Deutschland begrüßen? Was müsste angestoßen werden, um die Deutschen zu Aktionären zu machen?
Aus meiner Sicht heißt private Altersvorsorge private Altersvorsorge, weil sie privat ist. Sie geht den Staat nichts an und sie geht auch keine Partei und keine Fraktion im Deutschen Bundestag etwas an. Und weil das so ist, dürfen auch keine Steuergelder und keine Beitragsgelder in private Altersvorsorge fließen. Viele Versicherungsunternehmen und Banken können eigene private Altersvorsorge anbieten, die sowohl für die Kundinnen und Kunden als auch für die entsprechenden Unternehmen gewinnbringend ist. Ohne steuerliche Zuschüsse. Wenn dies der Fall ist, ist es auch gut so. Wenn die Kundinnen und Kunden die Verliererinnen und Verlierer einer solchen Geschäftsbeziehung sind, ist es schlecht. Insgesamt habe ich persönlich auch nichts gegen Aktien und gegen Kapitalmarktprodukte. Sie gehören meiner Vorstellung nach allerdings nicht zur Altersvorsorge, auch nicht zur privaten, sondern zur Vermögensbildung. Und hier sind sie gut aufgehoben.
Eine Rente, egal ob staatlich, öffentlich-rechtlich oder privat organisiert, muss immer bis ins hohe Alter jeden Monat gezahlt werden. Sie muss das Langlebigkeitsrisiko sowie die Hinterbliebenenabsicherung gewährleisten und das Risiko der Erwerbsminderung absichern. Dies ist bei vielen Privatangeboten nicht oder nur ungenügend der Fall. Vermögen hat den großen Vorteil, vererbt werden zu können. Vermögen hat den weiteren Vorteil, Liquidität herzustellen, falls sie gebraucht werden würde. Diese Vorteile hat eine echte Altersvorsorge nicht und sie darf sie auch nicht haben, weil sie dann ihre Aufgabe, das Alter mit abzusichern, im Einzelfall nicht mehr erfüllen könnte. 20-30 Jahre können sehr lang werden. Darum sage ich aus rentenpolitischer Perspektive: Finger weg von den Aktien. Aus Vermögensbildungsperspektive: Aktien sind die Vermögensform mit den höchsten Renditen in der Vergangenheit. Ob das in der Zukunft auch so sein werden wird, wird selbige zeigen müssen. Darum muss auch Jede und Jeder selbst und einzeln entscheiden, ob er oder sie Aktien zur Vermögensbildung nutzen möchte. Weiterer Anstöße dafür bedarf es meines Erachtens nicht.
Mir scheint, fast alle Parteien sind der Idee eines Staatsfonds gegenüber nicht abgeneigt, etwa nach dem Vorbild Schwedens und Norwegens. So soll das Umlageverfahren der gesetzlichen Rente durch einen Kapitalstock ergänzt werden. Würden Sie für Ihre Partei einen solchen Staatsfonds begrüßen? Wenn ja: Wer soll ihn verwalten - und wie soll er organisiert sein, damit Bürgerinnen und Bürger ihn akzeptieren?
Bisher ist es so, dass alle Vorschläge für ein staatliches Fondsmodell, sei es von Union oder FDP, entweder direkt zu Lasten der gesetzlichen Rente gehen oder die Kürzungen beim Rentenniveau beibehalten wollen. Das lehnt DIE LINKE ab. Zentrale Zukunftsaufgabe ist eine starke gesetzliche Rente. Ob sich die hohen Renditeversprechen auf den Aktienmärkten in 20 oder 30 Jahren realisieren würden, ist doch völlig offen. Die Kürzungen bei der gesetzlichen Rente wären aber real. Genau so real sind auch die Risiken auf den Finanzmärkten.
Verschwiegen wird dabei immer wieder, dass die Demographie ebenso für die Kapitaldeckung zu einem Problem werden kann, denn alle fortschrittlichen Gesellschaften altern. Und wenn dann in 20 oder 30 Jahren aus den Aktienpaketen der Pensionsfonds Rentenzahlungen generiert werden müssen, bleibt es völlig offen, ob die dann junge Generation die auf den Markt befindlichen größeren Aktienbestände aufkaufen wird - und zwar zu rentierlichen Preisen.
Die Einführung eines sicheren kapitalgedeckten Vorsorgefonds mit einem Risikoausgleich würde also viel Zeit kosten bei offenem Ergebnis. Der Renteneintritt der Babyboomergeneration könnte so auf keinen Fall mehr abgefedert werden. Ganz zu schweigen davon, dass damit weder die Absicherung der Pflege von Angehörigen oder die Finanzierung von Hinterbliebenen oder einer krankheitsbedingten Erwerbsminderung gelänge. Das alles schafft man nur mit einer solidarischen und nachhaltig umlagefinanzierten gesetzlichen Rente, die möglichst alle Erwerbstätigen umfasst.
Würden Sie ein Provisionsverbot in der Lebensversicherung und kapitalbildenden Altersvorsorge befürworten? Bitte begründen Sie die Positionierung.
Ein Provisionsdeckel bei Lebensversicherungen (und für Restschuldversicherungen) kann aus LINKER Sicht nur ein erster Schritt sein und muss von weiteren Maßnahmen flankiert werden (im Lebensversicherungsbereich u.a. Verschärfung der Ausschüttungsbremse, 50-prozentige Beteiligung der Versicherten an den Bewertungsreserven). DIE LINKE setzt sich für eine schrittweise Überwindung des Provisionssystems und eine Stärkung der unabhängigen Honorarberatung sowie eine Stärkung der unabhängigen Beratung durch Verbraucherzentralen ein.
Auch in dieser Legislaturperiode haben wir u.a. im Rahmen von Öffentlichen Anhörungen in Ausschüssen mit vielen Sachverständigen darüber diskutiert, ob zum Beispiel ein Provisionsverbot dazu führen würde, dass immer mehr Berater:innen und Vermittler:innen ihren Job an den Nagel hängen. Insgesamt muss man sagen, dass die Beispiele Großbritannien oder Niederlande eher gezeigt haben: Die Qualität der Finanzberatung ist durch das Provisionsverbot gestiegen. Dabei wurde auch deutlich, dass weder Finanzmarkt noch Vermittlerstrukturen arg gelitten haben. Eine angeblich massenhafte Ausgrenzung finanziell schwacher Verbraucher:innen fand in Anbetracht der Datenlage nicht statt. Anlageberatung wird nicht dadurch teurer, dass sie von Kund:innen direkt bezahlt wird. Stattdessen ist davon auszugehen, dass Honorarmodelle zu einem intensiveren Preiswettbewerb führen, da die Beratungskosten unmittelbar ersichtlich sind.
Die Fragen stellte Mirko Wenig.
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