DIE LINKE im Bundestag
100% sozial
Matthias W. Birkwald

Verschleierung, Zensur, Verharmlosung und Heuchelei im 4. Armuts- und Reichtumsbericht

13.06.2013

Zu Protokoll gegebene Rede von Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.)

a) zur Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung „Lebenslagen in Deutschland – Vierter Armuts- und Reichtumsbericht“ (BT-Drs. 17/12650)

b) zur Beratung des Antrags der Fraktion der SPD „Die notwendigen politischen Konsequenzen aus der Armuts- und Reichtumsberichterstattung ziehen“ (BT-Drs. 17/13102)

c) zum Antrag der Fraktion DIE LINKE „Verschleierung verhindern – Berichterstattung über Armut und Reichtum auf eine unabhängige Kommission übertragen“ (BT-Drs. 1712709)

d) zum Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Armuts- und Reichtumsberichterstattung verbessern – Lebenslagen umfassend abbilden“ (BT-Drs. 17/13911)

Sehr geehrte Frau Präsidentin/Herr Präsident!

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

LINKE, SPD und Grüne haben wieder und wieder auf Verschleierung, Zensur, Verharmlosung und Heuchelei im 4. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung hingewiesen.

Durch alle Medien ging die Nachricht, dass das Wirtschaftsministerium unter Philipp Rösler die strukturellen sozialen Probleme in diesem Land offenbar nicht sehen will. Was Ministerin von der Leyen noch an Kritik zuließ, hat Rösler offenkundig streichen oder durch Wohlwollenderes ersetzen lassen. Weder steht die Regierungskoalition zu den sozialen Ungerechtigkeiten noch gedenkt sie, wirklich etwas an der bestehenden Situation zu verändern. Das ist skandalös.

Interessant allerdings wird es, wenn wir den Armuts- und Reichtumsbericht in Zusammenhang mit einem noch anderen Umstand bringen:

„Gespaltene Demokratie“ lautet der Titel der gemeinsamen Studie der Bertelsmann Stiftung und dem Institut für Demoskopie Allensbach, die in dieser Woche Schlagzeilen machte.

Die Studie belegt, dass die Wahlbeteiligung von Geringverdienenden stetig sinkt.

Das bedeutet, dass nicht nur die soziale Spaltung insgesamt zunimmt, wie der Bericht zeigt. Es zeigt sich, dass es auch eine zunehmende soziale Spaltung bei der Wahlbeteiligung gibt. Während aus der Mittel- und Oberschicht schon fast 70% angeben, wählen gehen zu wollen, können das lediglich knapp 30 % der Geringverdienenden von sich behaupten.

Die Politik der Regierungskoalition ist eine Politik für Überprivilegierte auf Kosten der Allgemeinheit. Sie ist eine Politik für potentielle Großspenderinnen und Großspender.

Ein geringer Bildungsgrad ist laut Studie beinahe eine Garantie für das Nichtwählen.

Auch deshalb fordern wir, reale Bildungschancen für alle zu schaffen. Damit gebildete und gut ausgebildete Menschen in guten Jobs arbeiten können und ihr Wahlrecht wahrnehmen.

Der 4. Armuts- und Reichtumsbericht propagiert Individualismus und Egozentrismus. Einzelne können es bis ganz nach oben schaffen, wenn sie nur alle ihnen gönnerhaft zugebilligten Angebote wahrnehmen. Oben angekommen dürfen sie mit der Oberschicht auf die Masse blicken, die sie im Schweiße ihres Angesichts zurücklassen konnten. Das ist zynisch, denn die meisten schaffen das nicht.

Laut DIW besitzt das reichste Prozent der Bevölkerung 35,7% des gesamten deutschen Nettovermögens. Die obersten 10% besitzen sogar ganze 66,6%. Die untere Hälfte der Bevölkerung teilt sich hingegen nur 1% des Nettovermögens. Gerechtigkeit sieht anders aus. Die Politik der Regierung gefährdet, und so stand es wortwörtlich in der unzensierten Fassung des Berichts, den „Zusammenhalt“ unser aller Gesellschaft.

Obwohl wir zusammen in Deutschland ein privates Nettovermögen von rund 10 Billionen Euro vorweisen können, müssen 1,3 Millionen Arbeitende mit Hartz IV aufstocken. Hundertausende davon arbeiten in Vollzeit. Die Botschaft an sie lautet: Ihr seid einfach nicht gut genug, habt wohl die Chancen nicht genutzt. Diese Demütigung muss ein Ende haben.

In den Jahren von 1998 bis 2008 haben die untersten 40% der Vollzeitbeschäftigten reale Lohnverluste erleiden müssen und 4,7 Millionen Menschen, die sozialversicherungspflichtig in Vollzeit beschäftigt sind, arbeiten inzwischen im Niedriglohnbereich. Insgesamt arbeiten fast 8 Millionen Menschen für einen Niedriglohn, also für weniger als 9,15 Euro brutto pro Stunde. Die Agenda 2010 von SPD und Grünen mit ihrer Deregulierung des Arbeitsmarkts ist verantwortlich für 1 Millionen mehr Menschen im Niedriglohnsektor und 1,4 Millionen Menschen, die für einen Stundenlohn von unter 5 Euro arbeiten müssen.

Wenn im ersten Entwurf des Armuts- und Reichtumsbericht steht, dass in Zukunft doch bitte auch „ein Geringqualifizierter von seiner Vollzeitarbeit seinen Lebensunterhalt bestreiten können soll“ (S.XIX) und dieser Satz dann gestrichen wird, bedeutet das doch: Die Bundesregierung möchte nicht, dass diejenigen, die einer Vollzeitbeschäftigung nachgehen, ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten können.

Die Bundesregierung möchte auch nicht, dass die strukturellen Bedingungen von Armut verstanden werden und Menschen ihr Wahlverhalten danach ausrichten.

Das nämlich würde die sofortige Abwahl der derzeitigen Regierung bedeuten.

Meine Damen und Herren,

der Armuts- und Reichtumsbericht darf selbstverständlich nicht länger von einer Regierung erstellt werden, die sich seit Jahren der Reichtumspflege widmet.

Es muss vielmehr eine unabhängige Kommission eingerichtet werden. Einer Regierung darf nicht die Bewertung ihrer eigenen Politik überlassen werden. Die Bewertung muss parlamentarisch verankert sein und zu einem großen Teil der betroffenen oder fachlich versierten Zivilgesellschaft überlassen werden. Das ist der richtige Weg und alle Sachverständigen in der Ausschussanhörung, die sich zum Vorschlag der LINKEN geäußert haben, haben ihn auch für gut befunden.

SPD und Grüne fokussieren ihre Forderungen auf Investitionen in Bildung und wie die Studie belegt, ist das auch tatsächlich die basale Notwendigkeit für einen strukturellen Wandel. Die Möglichkeit zur Zensur des Berichts möchte aber keine der beiden Fraktionen, wie schon zur eigenen Regierungszeit, endgültig aus den Händen geben. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

DIE LINKE fordert, dass Vermögende ihrem Vermögen entsprechend am Zusammenhalt der Gesellschaft finanziell beteiligt werden. Eine einmalige Vermögensabgabe bei einem Freibetrag von 1 Million Euro wäre ein Anfang. Weitervererbter Reichtum, muss großzügig besteuert werden. Steuerhinterziehung im großen Stil darf nicht länger geduldet werden. Ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn von mindestens 10 EUR pro Stunde wäre ein erster Schritt zur Bekämpfung von zukünftiger Altersarmut, eine Solidarische Mindestrente von 1 050 Euro ein zusätzliches Sicherungsnetz.

Leiharbeit gehört verboten oder wenigstens streng reguliert. Der Missbrauch von Werkverträgen muss verhindert werden.

Sanktionen für Menschen am Existenzminimum sind inakzeptabel. DIE LINKE steht für einen echten Zusammenhalt der Gesellschaft und uneingeschränkte Solidarität.

Mit anderen Worten: Wir müssen Reichtum begrenzen und Armut bekämpfen!