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Matthias W. Birkwald

Gefangene in die Sozialversicherungssysteme einbeziehen

25.04.2013

Zu Protokoll gegebene Rede von Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) zum Antrag der Fraktion DIE LINKE. "Wiedereingliederung fördern – Gefangene in die Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung einbeziehen“ (BT-Drs. 17/13103), TOP 37 am 25.04.2012

Sehr geehrte Frau Präsidentin/Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren,

bereits vor 35 Jahren hat die Politik das Versprechen gegeben, dass Gefangene im Rahmen einer grundlegenden Gesamtreform des Strafvollzugswesens in die Sozial­versicherungen einbezogen werden. Bisher gilt dies lediglich für die Unfall- und Ar­beitslosenversicherung. DIE LINKE will die Wiedereingliederung von Gefangenen fördern und fordert daher, sie in die Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung ein­zubeziehen. Mit dem Verweis auf die finanziellen Vorbehalte der Länder und auf die für sie anfallenden Kosten durch Sozialversicherungsbeiträge verweigert sich die Bundesregierung initiativ zu werden. Das Sozialstaatsprinzip und Gebot der Resozi­alisierung von Gefangenen darf aber nicht unter Kostenvorbehalt gestellt werden. Die heutigen Regelungen stellen eindeutig eine doppelte Bestrafung dar, die nicht rech­tens ist. Denn durch die Nichteinbeziehung in die Sozialversicherungssysteme ent­stehen den Gefangenen langfristig schwere Nachteile, indem sie etwa Vorversiche­rungszeiten und Wartezeiten verfehlen oder ihren Anspruch auf Erwerbsminderungs­rente verlieren.

Gefangene sind deshalb nicht in Sozialversicherungen einbezogen, weil bisher die Freiwilligkeit als das Grundmerkmal einer sozialversicherungspflichtigen Beschäfti­gung gilt. Strafgefangene und Sicherungsverwahrte unterliegen jedoch einer gesetz­lichen Arbeitspflicht. Wir fordern die vollständige Abschaffung der Arbeitspflicht und diese in ein individuelles und einklagbares Recht auf einen Arbeitsplatz umzuwan­deln. Die meisten Gefangenen wollen nämlich arbeiten. Es existiert zwar der Muster­entwurf eines Gesetzes von zehn Ländern, der die Abschaffung der Arbeitspflicht vorsieht. Doch als einziges Bundesland steht Brandenburg mit seiner rot-roten Re­gierung auch vor der tatsächlichen Umsetzung dieses Entwurfs. Dass die von Ge­fangenen geleistete Arbeit derzeit nicht bei der gesetzliche Renten- Kranken- und Pflegeversicherung berücksichtigt wird, hat verheerende Auswirkungen auf die Zeit nach der Haftentlassung. Die entstandenen Versicherungslücken führen zu sehr niedrigen Altersrenten und sogar die Mitgliedschaft in der Krankenversicherung der Rentner_innen ist keineswegs garantiert. Ansprüche auf Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung oder auch auf Erwerbsminderungsrente können nur bei Einhal­tung bestimmter Vor- bzw. Mindestversicherungszeiten geltend gemacht werden. Wir LINKEN schlagen deshalb vor, für die Dauer des Freiheitsentzugs eine eigenstän­dige rentenrechtliche Zeit einzuführen. Bei der 35-jährigen Wartezeit muss die Zeit des Strafvollzugs voll berücksichtigt werden. Für ehemals in der DDR Inhaftierte galten Arbeitseinsätze als versicherungspflichtige Zeiten. Diese Regelung lief jedoch am 31.12.1996 aus. Für die Zeit nach 1996 wollen wir eine vertrauensschutzwah­rende Regelung schaffen.

Strukturierte und ausgefüllte Arbeitstage, entsprechend der Fähigkeiten und Neigun­gen der Gefangenen, sind für einen echten Resozialisierungsprozess unabdingbar. Die Länder müssen daher dazu angehalten werden, neue Arbeitsplätze im Strafge­fangenenvollzug zu schaffen. Die geleistete Arbeit muss zudem paritätisch beitrags­pflichtig und anspruchsbegründend werden. Dies soll neben der Verbesserung der Resozialisierungsbedingungen insbesondere den Opfern der Straftäter_innen zugutekommen. Wir fordern darum, die bisherigen Pfändungsvorschriften derart zu gestalten, dass zunächst die Opfer der Straftaten mit ihren Entschädigungsansprü­chen privilegiert werden. Dazu ist ebenso die derzeitige Entlohnung der Gefangenen von durchschnittlich 1,50 Euro pro Stunde deutlich anzuheben. Im Falle der Zah­lungsunfähigkeit der Straftäter_innen kann nur ein Härtefallfonds für Opfer schwerer Gewalttaten Abhilfe schaffen. Die Gesetzgebungskompetenz liegt hier ausdrücklich beim Bund. Dafür muss im nächsten Haushaltsgesetz unbedingt ein Haushaltstitel in angemessener Höhe eingestellt werden. Die Wahrung der Opferrechte ist unmittelbar mit der Wahrung der Straftäter_innenrechte verknüpft.

Das Gesamtprotokoll der Debatte zu diesem TOP findet sich unten stehend als PDF.