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Matthias W. Birkwald

Betreuungsgeld - weder Wahlfreiheit noch Leistungsanerkennung

25.04.2012
Redebeitrag von Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.) am 25.04.2012 um 16:38 Uhr (174. Sitzung, TOP ZP 1)

Aktuelle Stunde am 25. April 2012

auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE

gemäß Anlage 5 Nr. 1 Buchstabe b GO-BT

Betreuungsgeld

Vizepräsident Eduard Oswald:

Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion Die Linke unser Kollege Matthias Birkwald. Bitte schön, Herr Kollege.

(Beifall bei der LINKEN)

Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Frau Kollegin Laurischk, Ihr Einstieg in die Debatte war unterirdisch.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Nein, der war richtig!)

Frau Golze ist die Vorsitzende der Kinderkommission; diese tagt jetzt. Wenn der Staatssekretär Kues vorhin anständig geantwortet hätte, dann gäbe es diese Aktuelle

Stunde jetzt nicht. So sieht es aus.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ihre Rede hat deutlich gemacht, dass Ihre Wertschätzung für Kinder und die Belange der Kinderkommission gleich null ist. Das spricht doch für sich.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Linke will, dass Lebensleistung anerkannt wird. Dazu gehört – darüber sind wir uns alle hier im Hause wohl einig – auch Arbeit in der Familie, also die Erziehung von Kindern und die Pflege von Angehörigen. Wir wollen aber auch, dass die Menschen ihren Lebensweg weit wie möglich selbst gestalten können. Politik soll dabei helfen. Sie soll ermöglichen und nicht verhindern. Sie soll Raum für freie Entscheidungen schaffen, statt diese Räume immer weiter einzuschränken.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Beides ist wichtig: freie Lebenswege eröffnen und Lebensleistung anerkennen. Deswegen halten wir das Betreuungsgeld für falsch.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Betreuungsgeld ist so, wie es jetzt gedacht ist, eine Bildungsfernhalteprämie für die Kinder und für viele Frauen eine Herdprämie, nichts anderes. Das lehnen wir ab.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Weil wir wollen, dass die Lebensleistung anerkannt wird, wollen wir auch, dass die Erziehungsleistung von Eltern, deren Kinder vor 1992 geboren worden sind, in der Rente genauso belohnt wird wie die der Eltern, deren Kinder nach 1992 auf die Welt gekommen sind.

(Beifall bei der LINKEN)

So ist es bisher: Die Rentenpunkte erhalten grundsätzlich alle, die Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt haben. Niemand wird einfach so, willkürlich ausgeschlossen. Hier wird so einfach wie gerecht Leistung anerkannt. Wenn nun endlich die unterschiedliche Bewertung der Erziehungsarbeit beendet würde und alle Eltern unabhängig vom Geburtsjahr ihrer Kinder drei Rentenpunkte in den ersten drei Kinderjahren erhielten, dann wäre alles in Ordnung. Nebenbei bemerkt: Das fordert die Linke schon seit 2007, und die PDS hat es vorher auch schon gefordert.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Leider haben einige Unionskollegen eine verquere Logik. In der taz war vorgestern unter der Überschrift „Mehr Rente für ein Ja zur Herdprämie“ zu lesen, dass Herr Kauder, immerhin der Fraktionsvorsitzende der Union, mit seinem Vorschlag nicht im Traum an eine Gleichbehandlung aller Eltern denkt. Die Rentenpunkte für vor 1992 geborene Kinder sollen – so war zu lesen, und es wurde nirgends dementiert – nur jene Eltern erhalten, die während der ersten drei Lebensjahre des Kindes auf eine Erwerbstätigkeit verzichtet haben. Wer also beides versucht und geschafft hat, wer seine Kinder erzogen hat und gleichzeitig ins Büro, in die Fabrik, aufs Feld oder in die Praxis arbeiten gegangen ist, soll leer ausgehen. Das ist doch eine Arbeitsmarktfernhalteprämie. Wenn das stimmt, wäre das ungeheuerlich und ein immenser gesellschaftlicher Rückschritt.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ein solcher Vorschlag tritt die Lebensleistung dieser Eltern mit Füßen und bestraft nachträglich die Entscheidung, Familie und Beruf vereinbart zu haben. Ein solcher Vorschlag trifft vor allem Frauen, die die doppelte Last, ja die doppelte Leistung von Familien- und Berufsarbeit vollbracht haben. Das heißt doch nichts anderes, als dass dieser Vorschlag nicht nur leistungs-, sondern auch krass frauenfeindlich ist.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Soll etwa wieder gelten: Papi Vollzeit ins Büro und Mami heim an den Herd? Es fehlt nur noch, dass Herr Kauder die anderen Frauen als Rabenmütter beschimpft; denn nichts anderes ist sein Vorschlag: eine finstere, längst überholte und vergessen geglaubte Rabenmütterklausel. Für diese reaktionäre Rolle rückwärts in die

50er-Jahre sollte er sich schämen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Noch etwas: Der Vorschlag diskriminiert vor allem ostdeutsche Frauen; denn in der großen Mehrheit sind sie es, die diese doppelte Leistung, also Kindererziehung und Berufstätigkeit, erbracht haben. Das wäre ganz typisch für die schwarz-gelbe Rentenpolitik; denn Sie weigern sich auch noch nach 20 Jahren deutscher Einheit, den Ostdeutschen für die gleiche Leistung im Erwerbsleben die gleiche Rente wie den Westdeutschen zu zahlen.

(Max Straubinger [CDU/CSU]: Da reden wir mal über das, was die Menschen an Rente in der DDR bekommen haben!)

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, gleiche Rente für gleiche Lebensleistung. Sie haben das in den Koalitionsvertrag geschrieben, aber Ihr Versprechen gebrochen. Sie machen es nicht. Das ist die Lage.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der FDP: Wer hat denn die Rentner beschissen?

Das war doch die SED!)

Es gibt eine Umfrage von Forsa im Auftrag von RTL und Emnid.

(Max Straubinger [CDU/CSU]: Die DDR und Mielke haben die Rentner in Ostdeutschland betrogen! So war das!)

Danach lehnen 60 Prozent der Bevölkerung Ihr Betreuungsgeld ab; 36 Prozent sind dafür. Das sind immer noch viel zu viel. Deswegen sage ich Ihnen: Lassen Sie die Finger vom Betreuungsgeld! Geben Sie den Frauen und Männern, die vor 1992 Kinder erzogen haben, die 49 bis 55 Euro mehr Rente! Sorgen Sie endlich dafür, dass Eltern Beruf und Familie gut miteinander vereinbaren können, um ausreichend Rentenanwartschaften erwerben zu können! Das wäre die richtige Politik, die wir jetzt brauchen, aber nicht das unsinnige Betreuungsgeld.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)