DIE LINKE im Bundestag
100% sozial
Matthias W. Birkwald

Die Linke steht für Menschenwürde und für soziale Sicherheit!

19.01.2012
Redebeitrag von Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.) am 19.01.2012 um 12:01 Uhr (152. Sitzung, TOP 4)

Rede von Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) zur 1. Lesung des Antrags von Bündnis 90/Die Grünen „Soziale Bürgerrechte garantieren – Rechtsposition der Nutzerinnen und Nutzer sozialer Leistungen stärken“, BT-Drs. 17/7032 v. 21.09.2011 am 19.01.2012 im Plenum des Deutschen Bundestages

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

Die Linke steht für Menschenwürde und für soziale Sicherheit.

(Beifall bei der LINKEN ‑ Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Quatsch!)

Wir wollen, dass auch Hartz-IV-Betroffene, Menschen mit Behinderung, Kranke und Pflegebedürftige ein Leben in Würde führen können.

Ein würdevolles Leben kann der Mensch jedoch nur in Freiheit führen. Die Freiheit, die wir meinen, ist jedoch nicht die Freiheit der Märkte und der Marktradikalen; denn wir wollen nicht, dass die einen im Champagner baden und die anderen gezwungen sind, ihr Essen aus den Mülltonnen zu holen.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): So ein Blödsinn!)

In einer menschlichen Gesellschaft, die es mit sozialen Rechten ernst meint, darf das Recht des Stärkeren nicht gelten. Wir Linken meinen eine Freiheit, die vor staatlicher Willkür schützt, dabei aber nicht stehen bleibt; denn die Freiheit der Armen, sich als Bittstellerinnen und Bittsteller an den Staat oder an die Mitbürgerinnen und Mitbürger zu wenden, wenn das Geld nicht zum Leben reicht, ist eine würdelose Freiheit. Das ist einer der zentralen Gründe, warum wir Linken niemals unseren Frieden mit Hartz IV machen werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Würde braucht Freiheit, aber ohne soziale Rechte bleiben Freiheit und Würde für einen großen Teil der Menschen nur eine Möglichkeit, die sie sich nicht leisten können. Deswegen ist die Linke die Partei der Freiheit, der Würde und der Solidarität.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Sprüche!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Sie haben Ihren Antrag mit „Soziale Bürgerrechte garantieren“ überschrieben. Diese wichtige Forderung teilt die Linke ausdrücklich. Mit den vielen Einzelforderungen Ihres Antrages haben Sie unter dem Strich ein Ziel: Die Bürgerinnen und Bürger dürfen vom Staat und von der Verwaltung nicht als Bittstellerinnen und Bittsteller behandelt werden. Das sehen wir Linken ganz genauso.

(Beifall bei der LINKEN)

Es geht um soziale Rechte und nicht um Almosen. Das muss selbstverständlich für alle gelten, die hier leben, also zum Beispiel auch für Flüchtlinge, für Asylbewerberinnen und Asylbewerber und für alle Menschen ohne deutschen Pass. Dazu, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, sagen Sie in Ihrem Antrag leider kein Wort, und das ist schwach.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie reden über soziale Rechte, beschränken sich aber allein auf das Verhältnis der Bürgerinnen und Bürger zur Sozialverwaltung. Die sozialen Bürgerrechte umfassen aber auch die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Sie müssen deshalb sowohl in den Amtsstuben der Sozialverwaltung als auch an den Werkbänken in den Fabriken und an den Schreibtischen in den Büros gelten. Wenn Sie in Ihrem Antrag also von sozialen Rechten sprechen, dann dürfen Sie von einem gesetzlichen Mindestlohn, von gleichem Lohn für gleiche Arbeit und von gesunden, sicheren und menschenwürdigen Arbeitsbedingungen nicht schweigen.

(Beifall bei der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Linke teilt viele Einzelforderungen des vorliegenden Antrags. Auch wir sehen zum Beispiel, dass es nicht reicht, nur von einem Recht auf Beratung zu sprechen. Die Linke fordert schon lange, dass Pflegebedürftige und ihre Angehörigen, Menschen mit Behinderung und Hartz-IV-Beziehende professionell, unabhängig und vor allem wohnortnah und kostenlos

(Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Zwangsberaten werden!)

beraten werden. Eine gute und vor allem auch eine gut und barrierefrei erreichbare Beratung ist dafür unverzichtbar.

(Beifall bei der LINKEN)

Soziale Rechte und Ansprüche muss jede und jeder ohne Spezialausbildung oder ein langjähriges Studium verstehen und wahrnehmen können. Genau deshalb müssen die Gewerkschaften, der Erwerbslosenverband Deutschland oder Sozialverbände, wie zum Beispiel die Volkssolidarität, ein eigenständiges Verbandsklagerecht erhalten.

(Beifall bei der LINKEN)

Damit würden die Rechte der Nutzerinnen und Nutzer sozialer Leistungen auch unabhängig von konkreten Einzelfällen deutlich gestärkt werden. Das ist notwendig. Das ist machbar. Das ist längst überfällig.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir des Morgens zum Bäcker gehen, finden wir in der Regel eine reichhaltige Auswahl an Brötchen vor. Die Bäckerin würde aus wohlverstandenem Eigeninteresse nicht im Traum auf die Idee kommen, ihr Angebot einzuschränken oder uns zum Kauf eines bestimmten Brötchens zu nötigen; denn wir würden uns entweder vehement beschweren oder sofort den Laden verlassen und beim nächsten Mal nicht wiederkommen. Wir würden also protestieren, uns beschweren und im besten Falle damit die Qualität der Bäckerei verbessern. Falls das nichts hülfe, könnten wir künftig unsere Brötchen schlicht woanders kaufen.

Ich lege hier jetzt einigen Wert darauf, festzuhalten, dass die Sozialverwaltungen keine Bäckereien und Sozialleistungen keine Brötchen sind. Aber wie hieß es doch so schön im Zuge der Einführung der Hartz-Reformen? Die Arbeitsagenturen sollten die Menschen als Kundinnen und Kunden behandeln, so wie beim Bäcker. Das ist doch nun wirklich hanebüchener Unsinn.

(Beifall bei der LINKEN)

Haben Sie schon einmal einen Bäcker erlebt, der Ihnen mit Strafen droht, wenn Sie ihm nicht das Brötchen abnehmen, das er für Sie vorgesehen hat? Ich frage Sie: Können denn Langzeiterwerbslose wie beim Bäcker einfach das Geschäft wechseln und ihre Grundsicherung woanders holen, wenn sie sich im Jobcenter schlecht beraten, mies vermittelt oder zu Unrecht bestraft fühlen? Nein, das können sie eben nicht.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU): Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich!)

Genau deshalb ist es umso wichtiger, dass die Leistungsberechtigten in den Jobcentern darauf pochen können, mitzuentscheiden, welche Weiterbildung, welcher Schulbesuch oder welche sonstige Maßnahme für sie die Richtige ist.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des (BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN))

Im Unterschied zu den Grünen sagen wir Linken: Die Arbeitslosen müssen beispielsweise auch frei wählen dürfen, welcher Fallmanager oder welche Fallmanagerin für sie zuständig ist; denn auch Hartz-IV-Betroffene haben ein Recht auf Selbstbestimmung. Das darf nicht an der Tür des Jobcenters enden.

(Beifall bei der LINKEN)

Hartz-IV-Betroffene haben nicht die Möglichkeit, das Jobcenter zu wechseln wie ihre Bäckerei. Sie können sich nur beschweren, Widerspruch einlegen oder klagen. Das heißt: Erstens. Widersprüche der Hartz-IV-Leistungsberechtigten müssen eine aufschiebende Wirkung bekommen. Zweitens. Ihnen darf der Klageweg auch in Zukunft nicht durch Kosten versperrt werden.

(Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU): Wird er doch gar nicht!)

Die Sozialgerichtsprozesse müssen für die Betroffenen grundsätzlich kostenfrei bleiben.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Dieses grundlegende soziale Recht darf nicht geopfert werden, weil es, Herr Kollege Kober, nach wie vor eine anhaltende Klageflut bei Hartz IV gibt. Es gibt jetzt gerade mal einen leichten Rückgang. 2011 ist das Jahr mit der zweithöchsten Zahl an Prozessen gewesen. Für die Klageflut ist nämlich nicht die Kostenfreiheit verantwortlich, sondern das handwerklich schlecht gemachte Hartz-IV-Gesetz, oder, wie es Martin Kühl, Richter und Pressesprecher des Landesarbeitsgerichts Essen, vornehmer ausdrückte, die „sehr komplexe Rechtslage“.

Kein Wunder, dass wegen des viel zu komplizierten Gesetzes fast die Hälfte aller Verfahren zugunsten der klagenden Hartz-IV-Betroffenen entschieden wird, so zum Beispiel auch am Kölner Sozialgericht. Mich wundert es auch nicht, dass die Berliner Präsidentin des größten Sozialgerichts in Deutschland, Frau Sabine Schudoma, fordert, dass nicht die Betroffenen, sondern die Jobcenter wieder mit einer Pauschgebühr an den Gerichtskosten beteiligt werden müssten; denn dann hätten die Jobcenter einen Grund, stärker auf die Betroffenen zuzugehen. Damit könnten Klagen vermieden werden, ohne die Rechte der Betroffenen einzuschränken. Kurz und gut: Ein sehr guter Vorschlag!

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)