DIE LINKE im Bundestag
100% sozial
Matthias W. Birkwald

Ein Gesetz, das Armut und soziale Ausgrenzung verursacht

21.09.2011

Zu Protokoll gegebene Rede von Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) zur 1. Lesung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung „Viertes Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze“ (BT-Drs. 17/6764) am 21.09.2011

Sehr geehrte Frau Präsidentin/Herr Präsident!

Meine sehr geehrte Damen und Herren,

mit dem vorliegen Gesetzentwurf will die Bundesregierung eine ganze Reihe von Änderungen verschiedener Gesetze durchsetzen. Wir haben es hier mit einem so genannten Omnibus-Gesetz zu tun: Aus nahezu jedem Bereich des Sozial- und Arbeitsrechts ist etwas dabei. Deswegen muss und will ich mich nur auf einige wenige Aspekte konzentrieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

der politisch und finanziell bedeutsamste Aspekt des Gesetzentwurfs ist die Verlagerung von Kosten des Bundes auf die Bundesagentur für Arbeit und auf die Deutsche Rentenversicherung – also letztendlich auf alle jene, die die Bundesagentur und die Rentenversicherung durch ihre Beiträge finanzieren. Bereits im Mai diesen Jahres war in den Zeitungen zu lesen [FAZ v. 22.05.2011], dass die Bundesregierung plane, die Beiträge für die Rentenversicherung für Menschen mit Behinderung, die im Eingangsverfahren oder im Berufsbildungsbereich von Werkstätten für behinderte Menschen tätig sind, nicht mehr vom Bund, sondern von den Rehabilitationsträgern DRV und BA an die Träger der Werkstätten erstatten zu lassen. Diese Neuregelung solle sogar rückwirkend geltend, hieß es. Das bayrische Landessozialgericht hat hingegen mit Urteil vom 25. Februar 2010 entschieden, dass es für die Abwälzung der Beitragserstattung vom Bund auf die Deutsche Rentenversicherung und die BA, also genau genommen auf die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler, rechtlich keinen Raum gebe. Der Chef der BA hat sich – auch gegenüber dem Ausschuss für Arbeit und Soziales – empört über diese Planung gezeigt. Ganz zu Recht – findet DIE LINKE! Denn hier werden die Kosten gesamtgesellschaftlicher Aufgaben einfach auf die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler abgewälzt. Um Missverständnisse gar nicht erst aufkommen zu lassen. Uns Linken geht es gar nicht darum, dass hier Beiträge geleistet werden sollen. Ganz unbedingt soll das geschehen! Es handelt sich hier insofern um einen weiteren Griff in die Kassen der Sozialversicherungen - insbesondere der BA - um den Bundeshaushalt zu entlasten. Uns LINKEN geht es darum, klar zu machen, dass gesamtgesellschaftliche Aufgaben auch von der gesamten Gesellschaft bezahlt werden müssen!

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

im Zusammenhang mit der Rente gibt es einen weiteren, auf den ersten Blick unscheinbaren, aber bei genauer Betrachtung bemerkenswerten Aspekt: Immer im Juli eines jeden Jahres wird die Rente angepasst. In den vergangenen Jahren ist da nicht viel hinzugekommen – im Gegenteil: Die Rentnerinnen und Rentner haben Nullrunden hinnehmen müssen, die in ihren Geldbörsen als Minusrunden ankamen. Denn wenn die Preise steigen, aber kein Geld hinzu kommt, haben die Betroffenen weniger zum Leben. Die Rentenversicherung soll künftig auf den Versand einer Anpassungsmitteilung verzichten, wenn sich der aktuelle Rentenwert nicht verändert hat. Offenbar ist die "Mitteilung über die Anpassung der Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung" um null Euro der Regierung zu peinlich. Vordergründig argumentiert Schwarz-Gelb mit den Verwaltungskosten von 10 Millionen Euro. Tatsächlich will Schwarz-Gelb aber nur eines: Die Wahrheit verschweigen! Das nenne ich feige!

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

lassen Sie mich zum Abschluss noch einen dritten Aspekt herausgreifen. Die Bundesregierung nimmt mit ihrem Gesetzentwurf verschiedene Vorschläge zur Entlastung der Sozialgerichtsbarkeit auf. Dagegen ist zunächst einmal nichts einzuwenden. Aber auch hier müssen wir genauer hinsehen. Denn die eigentlich entscheidenden Punkte für die zahlreichen Verfahren liegen nicht in den Bestimmungen des Sozialgerichtsgesetzes, sondern in einem Gesetz, das Armut und soziale Ausgrenzung verursacht, nicht verfassungskonform und außerdem handwerklicher Pfusch ist. Darüber hinaus werden massenhaft rechtswidrige Bescheide ausgestellt. Meine Damen und Herren, wer die Sozialgerichte und ganz besonders auch die Hartz-IV-Betroffenen entlasten will, muss dafür sorgen, dass Hartz IV grundlegend überwunden wird! Erste notwendige Schritte wären insbesondere die Streichung von Sanktionen in der Grundsicherung. Das entlastet die Gerichte und schützt die Leistungsberechtigten vor existenziellen Gefährdungen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

der vorgelegte Gesetzentwurf enthält Vieles, aber nicht unbedingt das Richtige. Die Bundesregierung greift selbst bescheidene Reformvorschläge, wie den der gemeinsamen Kommission der Justizministerkonferenz und Arbeits- und Sozialministerkonferenz zur materiellen Reform des SGB II nicht auf. Dazu zählt zum Beispiel die Einschränkung der Sanktionsregeln bei den unter 25-jährigen. Vielmehr verschärfen Union und FDP die Sanktionspraxis durch die aktuelle Gesetzgebung sogar noch. Das ist typisch schwarz-gelb – das muss weg!

Vielen Dank!