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Matthias W. Birkwald

Dieses Wahlrecht ist ein Anschlag auf die Demokratie!

An dieser Stelle dokumentieren wir die Debatte zur Wahlrechtsreform im Deutschen Bundestag am 17.03.2023

17.03.2023
Dieses Wahlrecht ist ein Anschlag auf die Demokratie!

Matthias W. Birkwald hat aufgrund einer Erkrankung nicht an der Plenarsitzung teilnehmen können, sonst hätte er die Rede von Jan Korte beklatscht und gegen die Wahlrechtsreform gestimmt. 

Die Absurdität der Ampel-Reform zeigt sich auch darin, dass die darin enthaltende Abschaffung der Grundmandatsklausel von ihren eigenen Sachverständigen abgelehnt wird: "Dass der vorliegende Entwurf die Chancenverteilung im politischen Wettbewerb nicht verändert, kann politisch [...] nur dadurch sichergestellt werden, dass die Grundmandatsklausel beibehalten wird. Allein diese politische Ergebnisneutralität des Entwurfs stellt sicher, dass die dem Entwurf zustimmenden Parteien mit diesem allein das staatspolitische Ziel der Verkleinerung des Deutschen Bundestages, nicht auch ihre eigenen politischen Interessen verfolgen. Die Grundmandatsklausel beizubehalten, ist für die Glaubwürdigkeit des Entwurfs damit unabdingbar." (Gemeinsame Stellungnahme der Ampel-Sachverständigen in der Anhörung Achenbach, Meinel und Möllers, S. 6)

Die Rede von Jan Korte im Wortlaut: 

Jan Korte (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich muss zu den Rednerinnen und Rednern der Ampel, vor allem zu Frau Haßelmann und Herrn Kuhle, zunächst feststellen: Ihre bigotte Arroganz ist wirklich unübertroffen.

(Beifall bei der LINKEN und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD - Alexander Dobrindt (CDU/CSU): So ist es!)

Andere brauchten dafür 16 Jahre; Sie haben das in zwei Jahren fertigbekommen.

Meine Fraktion Die Linke teilt das Anliegen, den Bundestag zu verkleinern. Wir haben dazu hier in der letzten Wahlperiode mit FDP und Grünen einen demokratisch einwandfreien Gesetzentwurf eingebracht.

(Stephan Brandner (AfD): Nein, das waren wir, Herr Korte!)

Der entscheidende Grundpfeiler der parlamentarischen Demokratie ist - logischerweise - das Wahlrecht. Was Sie heute vorlegen, ist der größte Anschlag, den es auf diesen Grundpfeiler gab - seit Jahrzehnten.

(Beifall bei der LINKEN und der CDU/CSU - Zurufe von der SPD: Oh!)

Wir wollen uns einmal angucken: Wer profitiert von Ihrer Wahlrechtsreform? Es sind überraschenderweise die SPD, die Grünen und die FDP. Mal angenommen, bei der nächsten Wahl gewinnt die CDU/CSU eine absolute Mehrheit, was ja sein kann in diesen schnelllebigen Zeiten.

(Stephan Brandner (AfD): Nein, das kann nicht sein!)

Wollen wir dann das Wahlrecht sofort wieder zu deren Gunsten ändern? Wie stellen Sie sich das eigentlich vor? Sie haben diesen Konsens hier aufgekündigt.

Ich will hier feststellen, dass Sie mit Ihrem Änderungsantrag - hier hingerotzt - zwei Oppositionsparteien aus dem Bundestag mal eben politisch eliminieren wollen. Hingerotzt!

(Beifall bei der LINKEN und der CDU/CSU - Friedrich Merz (CDU/CSU): Genau so! „Hingerotzt“ ist der richtige Ausdruck!)

Zu diesem Vorgang will ich Ihnen mal was sagen: Wenn Viktor Orban und Kaczynski sich ihre eigenen Wahlrechte zimmern, dann twittern Sie sich die Finger wund und machen eine Mahnwache. Sie machen heute nichts anderes als eine Wahlrechtsreform in diesem Geiste, um es in aller Klarheit zu sagen.

(Beifall bei der LINKEN und der CDU/CSU)

Ich möchte zur Streichung der Grundmandatsklausel Folgendes sagen: Die Grundmandatsklausel ist ja nicht einfach vom Himmel gefallen. Die haben sich auch nicht die CSU oder meine Partei, Die Linke - die damalige PDS -, ausgedacht, sondern sie hat ja einen demokratischen großen Sinn. Nehmen wir mal die CSU, damit ich hier nicht über mich sprechen muss: Ich kann einfach mal feststellen, dass die CSU eine in Bayern tiefverwurzelte Partei ist

(Friedrich Merz (CDU/CSU): So ist es! Genau! - Stephan Brandner (AfD): Nicht mehr lange!)

 - was ich problematisch finde, aber das ist sie - mit Kommunalpolitikern, mit absoluten Mehrheiten und anderem mehr.

(Friedrich Merz (CDU/CSU): Und die SPD liegt bei 7 Prozent!)

Es ist der Sinn dieser Grundmandatsklausel gewesen, dass so eine Strömung, so eine regional verankerte Partei hier vertreten ist. Das wollen Sie beenden. Das ist ein Anschlag auf die Demokratie, um es in aller Klarheit zu sagen.

(Beifall bei der LINKEN und der CDU/CSU - Friedrich Merz (CDU/CSU): Genau so ist es!)

Ich möchte zudem für meine Partei feststellen, dass die Grundmandatsklausel natürlich gerade für Ostdeutschland eine sehr wichtige Sache gewesen ist, weil nämlich die damalige PDS dadurch einem relevanten Teil von Menschen in Ostdeutschland hier eine Stimme und eine Repräsentanz gegeben hat. Das ist bis heute immer noch so. Auch das wollen Sie aufkündigen.

(Stephan Brandner (AfD): Das ist nicht mehr so, Herr Korte! Sie leben in der Vergangenheit!)

Sie überlassen mit dem, was Sie hier heute machen, der AfD den Osten. Das ist es, was Sie heute per Wahlrecht beschließen.

(Beifall bei der LINKEN und der CDU/CSU - Friedrich Merz (CDU/CSU): So ist es!)

Das ist die Sachlage; deswegen freuen die sich ja auch einen ab, Ihre Kumpels hier.

Ich will einmal übersetzen und vortragen, was es bedeutet hätte und was die Folge wäre, hätten wir dieses Wahlrecht bei der letzten Wahl gehabt: Ohne die Grundmandatsklausel und mit lediglich 0,3 Prozent weniger Stimmen für die CSU wären 2021 nicht 4 Millionen, sondern glatte 9 Millionen Stimmen einfach in den Papierkorb gewandert. Was ist das für ein Demokratieverständnis? Es ist an Schäbigkeit nicht zu überbieten.

(Beifall bei der LINKEN und der CDU/CSU)

Für meine Partei kann ich feststellen: Wir hatten bekanntermaßen kein besonders tolles Ergebnis, aber wir haben immerhin - das muss einem mal jemand nachmachen, wenn einem der Wind entgegenbläst - trotzdem Direktmandate gewonnen. Das muss man erst mal hinbekommen. Sie von der FDP werden es nie hinkriegen, um das auch in aller Klarheit zu sagen.

(Beifall bei der LINKEN und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD - Christian Dürr (FDP): Wir haben 11,5 Prozent der Stimmen, Herr Korte!)

Deswegen ist meine Partei in diesem Bundestag vertreten und repräsentiert damit 2,3 Millionen Stimmen. Da kann man nicht so drüber hinweglallen, wie Sie das hier tun.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich möchte zum Schluss kommen. Ihre Wahlrechtsreform ist wirklich vergleichbar mit den Tricksereien der Trump-Republikaner.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN - Widerspruch bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Auf dem Niveau sind Sie angekommen, und ich kann Ihnen nur sagen: Ich wünsche Ihnen politisch alles erdenklich Schlechte. Wir werden uns in Karlsruhe sehen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD)