DIE LINKE im Bundestag
100% sozial
Matthias W. Birkwald

Kann Österreich ein Vorbild für die Rentenprobleme sein?

Matthias W. Birkwald in der Schwäbischen Zeitung zur Rentenpolitik

14.10.2022

Hier dokumentieren wir den Artikel und das Interview von Matthias W. Birkwald mit der Schwäbischen Zeitung vom 13.10.2022, welches im Original hier abrufbar ist. 

Kann Österreich ein Vorbild für die Rentenprobleme sein?

Die Inflation trifft auch die mehr als 20 Millionen Rentnerinnen und Rentner – auch wenn sie im Dezember eine Einmalzahlung von 300 Euro brutto bekommen. DIE LINKE schlägt deshalb vor, dass die Bundesregierung zum 1. Juli 2023 eine „außerordentliche zusätzliche Rentenerhöhung“ beschließt. „Ich fordere angesichts der explodierenden Preise eine Rentenerhöhung um zehn Prozent“, erklärte der Linken-Abgeordnete Matthias W. Birkwald auf Anfrage: „Dann hätten wir auch wieder ein lebensstandardsicherndes Rentenniveau von 53 Prozent – so wie im Jahr 2000, bevor SPD und Grüne das Rentenniveau in den Keller schickten.“

Birkwald betont, dass auch in Deutschland möglich sein müsse, was es in Österreich schon gebe. Tatsächlich hat die schwarz-grüne Regierung Österreichs Anfang Oktober bekannt gegeben, dass dort die Altersbezüge kräftig steigen – und zwar je nachdem, wie viel Rente jemand hat. Kleine Renten erhöhen sich 2023 um 10,2 Prozent, bei Renten zwischen 2360 Euro und 5670 Euro macht das Plus 5,8 Prozent aus. Man schaffe so einen sozial gerechten Ausgleich der hohen Inflation, meint der Wiener Sozialminister Johannes Rauch (Grüne): „Zwei Drittel der Pensionistinnen erhalten im kommenden Jahr mindestens 8,2 Prozent Plus.“

Rentenanhebungen richten sich nach der Inflation

Österreich bemisst schon seit Langem die Rentenanhebungen nach der Inflation. Deutschland orientiert sich an den Löhnen und Gehältern. Inzwischen liegt die Teuerungsrate aber bei zehn Prozent. Dass die Entgelte der Arbeitnehmer 2022 so massiv steigen und sich im Folgejahr mit einem kräftigen Rentenplus auswirken, erwartet niemand. Die IG Metall beispielsweise verlangt in der aktuellen Tarifrunde ein Plus von acht Prozent. Das passe nicht zur aktuellen Krisenlage, meint Stefan Wolf, der Chef vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall. Er bringt für den Fall einer Gasmangellage sogar eine Nullrunde ins Spiel.

Somit ist heute völlig ungewiss, wie hoch die Rentenerhöhung im kommenden Jahr ausfallen wird. Fest steht nur, dass Berlin nicht daran denkt, den Zusammenhang von Gehalts- und Rentenentwicklung aufzulösen oder durch einen Inflationsindex zu ersetzen. Im Koalitionsvertrag der Ampel steht dazu jedenfalls kein Wort. Der Umstieg wäre auch sehr teuer. Österreich wendet für seine Entscheidung, die 2,2 Millionen Ältere betrifft, gut drei Milliarden Euro auf. In der Bundesrepublik leben fast zehnmal mehr Rentner. Birkwalds Vorschlag würde die Arbeitgeber und Arbeitnehmer zusammen etwa 34 Milliarden Euro kosten. Davon müssten die Firmen und die Arbeitnehmer 29 Milliarden Euro schultern, der Rest käme aus der Bundeskasse. Der Rentenbeitrag der Arbeitnehmer und der Firmen (aktuell: 18,6 Prozent von Lohn oder Gehalt) müsste dafür um zwei Prozentpunkte angehoben werden.

Grundsatz seit 1957

Mit seinem Vorschlag weicht Birkwald auch von der Empfehlung ab, die eine von der Großen Koalition eingesetzte Rentenreformkommission im März 2020 vorgelegt hatte. In dieser Kommission waren neben Politikern und Wissenschaftlern auch Vertreter der Arbeitgeber sowie des Deutschen Gewerkschaftsbunds versammelt. Die Anbindung der Renten an die Inflationsrate sei eine „deutliche Abkehr von dem seit 1957 geltenden Grundsatz“ – also von der Festlegung, dass sich die Renten nach der Lohnentwicklung richten und die sicherstelle, dass die Älteren an der „Wohlstandsentwicklung der Arbeitnehmer“ beteiligt seien.

Die Preissteigerung betrifft nicht nur Ältere, die eine gesetzliche Rente beziehen, sondern auch die Betriebsrentner. Zwar macht das Betriebsrentengesetz viele Vorgaben – eine aber nicht: Es gibt keine Indexierung, die vorschreibt, dass ein Arbeitgeber die Betriebsrenten seiner früheren Mitarbeiter gemäß der aktuellen Inflationsrate erhöht. Vielmehr muss er alle Jahre „nach billigem Ermessen“ prüfen, ob er wirtschaftlich so gut dasteht, dass sein Unternehmen eine Erhöhung vornehmen muss. Diese darf nicht niedriger ausfallen als die Verbraucherpreisentwicklung in diesem Zeitraum oder die Nettolohnentwicklung der Beschäftigten. Inzwischen füllt die Rechtsprechung zu dieser Auflage halbe Bibliotheken. Man kann eben lange trefflich streiten, wie gut oder schlecht die Ertragslage eines Unternehmens ist. Reicht es, wenn eine Firma auf allgemeine Phänomene wie zum Beispiel die Corona-Pandemie oder höhere Energiepreise hinweist – oder muss klar sein, dass diese sich negativ in der eigenen Bilanz niedergeschlagen haben?

Diese Prüfpflicht fällt weg, wenn sich der Arbeitgeber dafür entscheidet, die Renten jährlich um mindestens ein Prozent anzuheben. Formal sind Betriebsrenten also gegen Inflation geschützt – nicht aber real. Denn es gibt eigentlich kein Jahr, in dem die Preissteigerung nicht mehr als ein Prozent beträgt. Dieser Wert liegt zudem unter dem mittelfristigen Inflationsziel von zwei Prozent, das die Europäische Zentralbank verfolgt. 

Zudem sei an dieser Stelle erwähnt, dass eine – wie im Artikel vorgeschlagene, einmalige und außerordentliche Rentenerhöhung von zehn Prozent – durch eine moderate Beitragserhöhung gut finanzierbar wäre. Durchschnittsverdienende würden dann 32,86 Euro im Monat mehr bezahlen müssen und dafür aber alle heutigen Rentnerinnen und Rentner zehn Prozent mehr Rente erhalten und sie selbst später dann auch.