DIE LINKE im Bundestag
100% sozial
Matthias W. Birkwald

„Länger einzahlen und kürzer Rente erhalten?“ – Nein, danke!

Neue Zahlen zur Anhebung der Altersgrenzen und der verbleibenden Lebenserwartung.

15.12.2020

Die Daten des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) zeigen es deutlich: Eine höhere Lebenserwartung bedeutet praktisch, vollständig länger Arbeiten zu müssen, wenn man keine Abschläge hinnehmen will - und für viele Menschen eben gerade nicht den behaupteten länger währenden Ruhestand.

Die Möglichkeiten für einen abschlagsfreien Übergang in die Rente wurden und werden immer mehr eingeschränkt. Die Wohlstandsgewinne und der medizinische Fortschritt unserer Gesellschaft werden nicht an die Menschen weitergegeben, die sie erarbeitet haben. Von einem verdienten und sicheren Ruhestand für alle Menschen im Rentenalter sind wir damit leider weit entfernt.

Die Politik der Rente erst ab 67 - und auch der CDU-Vorschlag für einen individuellen Rentenübergang - sind nichts Anderes als eine unsoziale Rentenkürzung nach dem Motto „Länger einzahlen und kürzer Rente erhalten“. Damit sollen die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber einseitig von Beiträgen entlastet werden während die hart arbeitenden Beschäftigten in die Röhre gucken.

DIE LINKE fordert stattdessen: Alle Versicherten sollen wieder ab 65 Jahren ohne Abschläge in Rente gehen dürfen und nach 40 Beitragsjahren muss man schon ab 60 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen können. Dann hätten wir altersgerechte Übergänge in die Rente.

Gegenüber der DPA kommentierte Anja Piel vom Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbunds, dass seit rund 20 Jahren das abschlagsfreie Rentenalter mehr angehoben werde, als die Lebenserwartung steigt.

«Beschäftigten drohen fatale Folgen, wenn Arbeitgeber, konservative und liberale Parteien den Hals nicht voll kriegen und in einem Überbietungswettbewerb immer schneller ein höheres Rentenalter wollen», sagte sie der dpa. «Einziges Ziel solcher Forderungen ist offensichtlich, dass Unternehmen Profite steigern können.»

Hintergrund:

Eine breite Front aus Arbeitgeberverbänden, Union, FDP, der OECD und sogenannten Rentenpäpsten fordert unter verschiedenen Etiketten immer wieder das gleiche: Die Beschäftigten sollen länger arbeiten (müssen), um die Rentenfinanzen zu entlasten.

Entweder wird gleich eine Rente erst ab 69, 70 oder 85 gefordert oder diese Absicht wird verschleiert als „Anpassung des Rentenalters an die durchschnittlich steigende Lebenserwartung“ oder - wie jetzt von der Union - als „individueller Renteneintritt“ verklausuliert. Arbeiten bis zum Umfallen wird dann für immer mehr Ältere zur traurigen Realität werden. Fast 15 Prozent der älteren Menschen sterben aktuell vor ihrem 65. Geburtstag (2019: 14,4 Prozent[1]).

Die marktradikalen Apologeten der Rente erst ab 67 suchen nach neuen Wegen, um noch längeres Arbeiten und einen noch kürzeren Ruhestand über immer höhere Abschläge bei einem vorzeitigen Renteneintritt zu erzwingen. Schon heute gehen 22,5 Prozent der neuen Altersrentnerinnen und Altersrentner mit Abschlägen in Rente. Ihre durchschnittliche Nettorente (Rentenzahlbetrag) reduziert sich durch die Abschläge um über 200 Euro von 1218 auf 1007 Euro (DRV, Rentenversicherung in Zeitreihen 2020, S. 86).

Echte Anstrengungen und gesetzliche Initiativen für altersgerechtes Arbeiten oder alternsgerechte Arbeitsplätze sucht man vergeblich.

Im Rentenkonzept der Union findet sich folgende Passage:

„Daher ist zu prüfen, in welchem Umfang die gewonnene Lebenszeit ausgewogen auf Erwerbsphase und Rentenphase verteilt werden kann.“ (S. 2, CDU, Beschluss zur Rentenpolitik des BFA Soziale Sicherung und Arbeitswelt vom 30. November 2020[2]).

Wir haben der Union diesen Prüfauftrag abgenommen und das Bundesministerium für Arbeit und Soziales gefragt, wie sich seit 1995 einerseits die Altersgrenze für einen abschlagsfreien Renteneintritt und andererseits die sogenannte verbleibende Lebenserwartung ab 60 entwickelt haben und bis 2035 entwickeln werden. Außerdem haben wir vom Statistischen Bundesamt die jeweilige exakte verbleibende Lebenserwartung zum abschlagsfreien Renteneintritt ergänzen lassen.

Diese zeigt, wie viele abschlagsfreie Rentenjahre Menschen heute und in Zukunft im Durchschnitt noch erwarten können.

Ergebnisse der Antwort auf die schriftliche Frage von Matthias W. Birkwald:

Viele Wege in einen abschlagsfreien Rentenzugang wurden immer mehr versperrt bzw. die Altersgrenzen dafür wurden und werden schrittweise angehoben:

  • Die abschlagsfreie Altersrente für Frauen ab ursprünglich 60 Jahren wurde ab dem Jahrgang 1952 komplett abgeschafft.
  • Die Altersgrenze für langjährig Versicherte (35 Beitragsjahre) wird schrittweise vom 63 auf das 67. Lebensjahr angehoben (2020 für den Jahrgang 1954 bei 65 Jahren und acht Monaten) und entspricht ab 2035 der Regealtersgrenze.
  • Aus der 2014 eingeführten abschlagsfreien Rente ab 63 (Rente für besonders langjährig Versicherte) wird bis zum Jahr 2035 eine abschlagsfreie Rente ab 65 (2020 für den Jahrgang 1956 bei 63 und acht Monaten). Die für diese Rente notwendigen 45 Beitragsjahre werden zukünftig aber immer weniger Menschen erreichen.

Gleichzeitig wird zwar die verbleibende Lebenserwartung von 60jährigen Männern zwischen 1995 und 2035 um 5,5 auf 23,6 Jahre und von Frauen um 4,4 Jahre auf 26,9 Jahre ansteigen; die Zahl der durchschnittlich verbleibenden Lebensjahre in einem abschlagsfreien Ruhestand ist aber wegen der Anhebung der Altersgrenzen nur minimal gestiegen:

Bei langjährig und besonders langjährig versicherten Männern nur um 0,5 Jahre, bei langjährig und besonders langjährig versicherten Frauen nur um 0,1 Jahre.

 

[1] Quelle: Statistisches Bundesamt, Gestorbene nach Geschlecht und Altersjahre: https://www-genesis.destatis.de/genesis/online?sequenz=tabelleErgebnis&selectionname=12613-0003&zeitscheiben=5  

[2] https://www.cdu.de/system/tdf/media/beschluss_zur_rentenpolitik_30.11.2020_0.pdf?file=1

Im Anhang finden Sie diese Auswertung mit der vollständigen Tabelle und die Antwort des BMAS, die mit Daten des Statistischen Bundesamtes ergänzt wurde.