DIE LINKE im Bundestag
100% sozial
Matthias W. Birkwald

Ausführliche Stellungnahme zum aktuellen Hartz IV Kompromiss

Hartz-IV-Kompromiss: Kleinrechnen, Strafen, Kürzen - Verfassungswidrigkeit offensichtlich

25.02.2011

„Kleinrechnen, Strafen, Kürzen – das ist das Motto des nicht bloß faulen, sondern klar verfassungswidrigen Kompromisses. Die minimalen Verbesserungen gehen deutlich an den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts vorbei und werden gleichsam von den ebenfalls beschlossenen Verschlechterungen gefressen. Die schwarz-gelbe Regierung hat die Regelsätze nach Kassenlage systematisch kleingerechnet. Und die SPD hat ihr die Hand zum offensichtlichen Verfassungsbruch gereicht. Besonders hinterhältig ist, dass die Betroffenen die so genannten Verbesserungen letztendlich selbst finanzieren müssen und ganz nebenbei das Sanktionssystem verschärft wurde“, empört sich Matthias W. Birkwald, Bundestagsabgeordneter aus Köln und Mitglied im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales über den von Schwarz-Gelb mit der SPD ausgehandelten Kompromiss. Birkwald weiter: „Die Kosten für das Bildungspaket bezahlen die Hartz-IV-Betroffenen mit dem gestrichenen Elterngeld, die finanzielle Entlastung der Kommunen wird der Bundesagentur für Arbeit aufgebürdet und wird letztendlich zu Leistungskürzungen für alle Erwerbslosen führen. Das ist ein mieser Kuhhandel auf dem Rücken der Hartz-IV-Betroffenen und ein schwarzer Tag für ihre Grundrechte.“

„Wir brauchen endlich Mindeststandards, die vor Armut und Ausgrenzung schützen statt sie zu schüren. Wir brauchen einen gesetzlichen, flächendeckenden Mindestlohn in Höhe von zehn Euro, eine bedarfsdeckende, sanktionsfreie Mindestsicherung mit einem Regelsatz in Höhe von mindestens 500 Euro, und wir brauchen eine solidarische Mindestrente, damit niemand im Alter von weniger als 900 Euro leben muss.“

Regelleistung: Verfassungswidrig und zu wenig

Die Regelsätze sind nach Kassenlage systematisch kleingerechnet worden. Das Bundesverfassungsgericht hat festgelegt, dass Zirkelschlüsse vermieden werden müssen. Dennoch haben Union, FDP und SPD das, was Menschen in verdeckter Armut für ihr Überleben ausgeben können, zur Grundlage genommen, um das Existenzminimum zu errechnen. Das Bundesverfassungsgerecht hat willkürlichen Abschlägen eine Absage erteilt. Doch einzelne Ausgaben, wie zum Beispiel für Haustiere und Schnittblumen, wurden einfach so herausgestrichen. Zudem wurde die Referenzgruppe kleingerechnet: Letztendlich wurden nicht 100 Prozent der unteren 20 Prozent, sondern nur 70 Prozent der Ausgaben der unteren 15 Prozent der nach Einkommenshöhe gestaffelten Haushalte berücksichtigt. Zudem wurden die Kinderregelsätze von einer Grundlage abgeleitet, die schlicht ungenügend ist.

Verschlechterungen fressen minimale Verbesserungen – Erwerbslose finanzieren sich selbst

Die vermeintlich „Verbesserungen“ werden durch bereits vollzogene und noch zu erwartende Kürzungen bei Arbeitslosen gegenfinanziert. So sollen für das Bildungs- und Teilhabepaket 626 Millionen Euro ausgegeben werden, also rund 500 Millionen mehr als bisher. Diese Summe entspricht jedoch genau jenem Betrag, der durch die faktische Streichung des Elterngeldes für Hartz IV-Betroffene weggekürzt worden ist. Das als großer Erfolg für Hartz-IV-Familien gefeierte Bildungspaket wird also von den Betroffenen selbst finanziert. Das ist eine Verhöhnung der Menschen!

Die als Verbesserung gefeierte Entlastung der Kommunen von den Kosten für die Grundsicherung im Alter soll über Kürzungen beim Bundeszuschuss für die Bundesagentur für Arbeit (BA) finanziert werden. Dadurch wird bei der BA ein Milliardendefizit entstehen, und sie wird förmlich dazu genötigt, darauf zu drängen, diese Kosten über Beitragserhöhungen oder Leistungskürzungen auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Erwerbslosen abzuwälzen. Dazu hat der Chef der Arbeiterverbände, Dieter Hundt, bereits klar, gemacht, dass die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung nicht erhöht werden dürfen. Am Ende werden also Leistungen der BA für Arbeitslose genau an der Stelle gekürzt.

Auch hier gilt also: Für die Verbesserung für die Kommunen werden vor allem Erwerbslose bluten müssen. Das ist völlig inakzeptabel!

Kürzungspolitik durch verschärfte Sanktionsregeln

Hartz IV stellt das menschenwürdige Existenzminimum unter Vorbehalt: Wer nicht kuscht und spurt, dem wird es zusammengestrichen oder ganz vorenthalten. Das wird künftig noch drastischer durchgesetzt werden. Denn den Betroffenen wird ein wichtiges Instrument aus den Händen geschlagen: Bisher war jede einzelne Sanktion nur dann gerichtsfest, wenn sie zuvor den Hartz-IV-Betroffenen durch eine so genannte schriftliche Rechtsfolgenbelehrung konkret, verständlich, richtig und vollständig belehrt worden war. Künftig kann darauf dem Motto „Du weißt ja was Dir blüht!“ verzichtet. Für die Verwaltung wird das Sanktionieren einfacher. Den Betroffenen wird eine Möglichkeit genommen, aufgrund einer mangelhaften oder fehlenden Rechtsfolgenbelehrung Widerspruch gegen eine Sanktion einzulegen und letztendlich zu klagen.

DIE LINKE will nicht nur keine weitere Verschärfung der Sanktionen, sondern fordert, die Sanktionen vollständig zu streichen. Denn das menschenwürdige Existenzminimum darf nicht angetastet werden! Eine soziale Mindestsicherung muss sanktionsfrei sein!

Lohndumping durch den Mindestlohn in der Leiharbeit

Schwarz-Gelb und SPD haben beschlossen, dass gleicher Lohn für gleiche Arbeit (equal pay) auch künftig nicht für Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter gelten soll. Der für die Leiharbeit vereinbarte Mindestlohn von voraussichtlich 7,79 Euro im Westen und 6,89 im Osten ist zu niedrig. Er taugt nicht einmal als Feigenblatt für das Lohndumping per Gesetz in der Leiharbeit. Im Gegenteil: Er droht das Lohndumping zu zementieren. DIE LINKE fordert deshalb einen flächendeckenden, gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von zehn Euro und gleichen Lohn für gleiche Arbeit ab dem ersten Tag in Leiharbeit. Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter dürfen nicht für ihre Flexibilität mit Dumpinglöhnen bestraft werden. Stattdessen müssen sie mit einer Flexibilitätsprämie von zehn Prozent des Bruttolohns belohnt werden.

Ehrenamtliche Engagement – eine Frage des Geldbeutels

Union, FDP und SPD wollen Hartz-IV-Betroffenen das ehrenamtliche Engagement vermiesen. Denn sobald Langzeiterwerbslose dafür eine Aufwandsentschädigung erhalten, soll sie teilweise angerechnet, d.h. Hartz IV soll gekürzt werden. Ein soziokulturelles Existenzminimum muss einerseits ein menschenwürdiges Leben garantieren und andererseits die ökonomischen Grundlage für ein bürgerschaftliches Engagement ermöglichen. Doch der faule Kompromiss von CDU/CSU, FDP und SPD ermöglicht weder die vom Bundesverfassungsgericht geforderte menschenwürdige Teilhabe noch fördert er eine demokratienotwendige Teilnahme und Beteiligung in Vereinen und Verbänden. Im Gegenteil! Mit der teilweisen Anrechnung von Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliche Tätigkeiten auf Hartz IV wird das bürgerschaftliche Engagement von Hartz-IV-Betroffenen unter Strafe gestellt, statt es zu fördern. Wie weit sich das auch auf die Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliche kommunale Amts- und Mandatsträgerinnen und -träger auswirkt, ist noch unklar. Klar ist jedoch, dass jegliches ehrenamtliches Engagement keine Frage des Geldbeutels sein darf! Deshalb müssen die Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliche Tätigkeiten anrechnungsfrei bleiben!