DIE LINKE im Bundestag
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Matthias W. Birkwald

Altersarmut: Was kann der Gesetzgeber dagegen tun?

26.01.2017
Martina Welters, deutsche betriebsrente.de

Welcher ist der richtige Weg, um Altersarmut zu bekämpfen und eine auskömmliche Rente zu sichern? Die Arbeitnehmer sind verunsichert, die politischen Parteien sind uneins. Es gibt verschiedene Ansätze und nach wie vor viele Fragezeichen. Eine zentrale Fragestellung ist dabei: Was kann seitens Politik konkret zur Bekämpfung der Altersarmut beigetragen werden? Das dbr-Webmagazin hat hierzu mit verschiedenen Politikern gesprochen. Heute: Matthias W. Birkwald, MdB, rentenpolitischer Sprecher und Parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsfraktion DIE LINKE.

Warum haben so viele Menschen mittlerweile Angst vor Altersarmut?

Matthias W. Birkwald: Viele junge, mittelalte oder ältere Menschen haben Angst vor Altersarmut, weil es viel schwieriger geworden ist, durchgängig beschäftigt zu sein, weil sich Niedriglöhne immer mehr ausbreiten, weil krankmachende Belastungen im Arbeitsleben zunehmen, weil die Riester-Rente als zusätzliche Vorsorge komplett versagt hat und weil gleichzeitig das Niveau – und damit auch die Lohnersatzfunktion – der gesetzlichen Rente immer weiter zurückgefahren wurde und wird. Für all das sind Arbeitgeber/-innen, Union, SPD und Grüne verantwortlich.

Viele Menschen haben aber auch ganz einfach deshalb Angst, weil Altersarmut besonders in Großstädten, aber auch auf dem Land, immer mehr erfahrbar wird. Wir haben eine halbe Million Ältere in der „Grundsicherung im Alter“. Die Zahl steigt Jahr für Jahr um fünf bis sechs Prozent und wir haben 2,7 Millionen Ältere, die unterhalb der EU-Armutsschwelle von 1.030 Euro leben müssen. Die Altersarmut ist heute also schon viel weiter verbreitet als uns CDU/CSU und die Arbeitgeber/-innen weismachen wollen.

Ist diese Angst nur Fiktion oder berechtigt?

Matthias W. Birkwald: Diese Angst ist berechtigt, denn die großen Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt, also die Massenerwerbslosigkeit im Osten nach der Wende, aber auch die Einführung der Hartz-IV-Gesetze, die Förderung von Leiharbeit und Werkverträgen oder die Niedrigzinsphase als Folge der Finanzkrise, werden sich erst in ein, zwei Generationen voll in den Altersrenten und den Alterseinkommen niederschlagen.

Wie beurteilen Sie das Rentenkonzept von Andrea Nahles? Ist es ausreichend, um das Versorgungsniveau in Deutschland zu erhöhen?

Matthias W. Birkwald: Nein. Am 23. Januar hatten wir im Bundestag eine große Öffentliche Sachverständigenanhörung zur Rente. Sie hat klar gezeigt: Riester ist gescheitert. Arbeitsministerin Andrea Nahles hält immer noch an den völlig überzogenen Renditeerwartungen fest. Sie will mit Riester immer noch die Lücke schließen, die SPD und Union politisch willkürlich in die gesetzliche Rente gerissen haben. Ich empfehle die Lektüre der Stellungnahme des „Bund der Versicherten“: Da ist zu lesen, dass man 104 Jahre alt werden müsste, damit diese Rechnung auch nur annähernd aufgehen würde. Von daher ist eine Stabilisierung der gesetzlichen Rente auf dem heutigen Niveau auf keinen Fall ausreichend. Wir müssen die Lehren aus der gescheiterten Riester-Rente ziehen. Die zentrale Lehre ist: Die gesetzliche Rente muss alleine wieder den einmal erreichten Lebensstandard sichern. Das bedeutet klipp und klar: Wir brauchen wieder ein Rentenniveau von 53 Prozent, also das Rentenniveau, was wir im Jahr 2000 hatten, bevor SPD und Grüne es mit Unterstützung der Union in den Sinkflug schickten.

Was kann Ihrer Meinung nach der Gesetzgeber noch tun, um für alle eine ausreichende Versorgung im Alter zu gewährleisten?

Matthias W. Birkwald: Sehr wichtig ist, die Risiken des Erwerbslebens besser in der gesetzlichen Rente abzusichern. Niemand wird freiwillig arbeitslos, niemand wird freiwillig krank und niemand arbeitet freiwillig im Niedriglohnsektor. Deshalb fordern wir LINKEN:

  • einen halben Rentenentgeltpunkt im Jahr bei Arbeitslosigkeit,
  • die Abschaffung der Abschläge bei Erwerbsminderungsrenten,
  • eine rentenrechtliche Aufwertung von Niedriglohnbeschäftigung und
  • außerdem muss die Kindererziehung in der Rente gerecht bewertet werden. Deshalb fordern wir drei Entgeltpunkte in der im Westen geltenden Höhe für alle Mütter oder Väter, egal, ob im Westen oder im Osten und auch für die Kinder, die vor 1992 geboren wurden. Das wären dann pro Kind 30,45 Euro brutto mehr Rente im Monat.

Welche Rolle spielt die betriebliche Altersvorsorge bei der Bekämpfung der Altersarmut?

Matthias W. Birkwald: Im LINKEN Rentenkonzept hat die gesetzliche Rente – ergänzt um unsere Solidarische Mindestrente – die sozialpolitische Aufgabe, auch vor Altersarmut zu schützen. Das schließt eine Umverteilungskomponente ein, die steuerfinanziert werden muss.

Betriebliche Altersvorsorge ist dafür nur sehr bedingt geeignet. Die Arbeitgeber/-innen ziehen sich seit einigen Jahren immer mehr aus der Finanzierung – und damit aus ihrer gesellschaftlichen Verantwortung – zurück. Sie machen keine Direktzusagen mehr, bzw. immer weniger, sondern sie geben den Beschäftigten beim Sparen für das Alter über den Betrieb etwas dazu. Ich spreche dann von betrieblicher Altersvorsorge. Aber: Wer wenig Geld hat, kann auch nur wenig zusätzlich zurücklegen. Bei einem Bruttogehalt von 4.500 Euro und mehr haben 71 Prozent der Beschäftigten eine bAV, bei den Gehältern unter 2.500 Euro sind es nur 27 Prozent und unterhalb von 1.500 Euro sogar nur 18 Prozent. Die Einkommensgruppen mit 2.500 Euro brutto und weniger werden aber später deutlich stärker von Altersarmut bedroht sein. Von betrieblicher Altersversorgung spreche ich nur, wenn der Arbeitgeberanteil der Beiträge zwischen 50 und 100 Prozent liegt und/oder eine verbindliche Zusage über die Höhe der späteren Leistungen gemacht wird. Von betrieblicher Altersvorsorge ist die Rede, wenn der Arbeitgeberanteil der Beiträge zwischen 0 und 49 Prozent liegt und/oder keine verbindliche Zusage über die Höhe der späteren Leistungen gemacht wird.

Andrea Nahles möchte unter anderem durch das Betriebsrentenstärkungsgesetz die betriebliche Altersvorsorge in Deutschland stärken. Ist das der richtige Weg?

Matthias W. Birkwald: Nein, ist es nicht, denn der Rückzug der Arbeitgeber/-innen aus einer echten Altersversorgung wird dadurch noch verschärft: Die SPD-Ministerin will die Entgeltumwandlung weiter fördern. Das heißt: Immer mehr Beschäftigte müssen die Kosten für die betriebliche Altersvorsorge selbst tragen. Oft wird das für sie ein Minusgeschäft sein, weil sie in der Auszahlungsphase doppelte Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung werden zahlen müssen. Und sie müssen ihr eigenes Erspartes dann auch noch versteuern. Die Arbeitgeber/-innen wiederum sollen einen Teil ihrer gesparten Sozialversicherungsbeiträge verpflichtend einbringen. Warum nicht alle? Außerdem: Mit der geplanten reinen Beitragszusage für die Unternehmen soll ihre Ausfallhaftung entfallen. Das ist nicht akzeptabel. Und: Durch die sogenannte „Zielrente“ werden durch die Anbieter/-innen keine Garantien oder Mindestleistungen der zukünftigen kapitalmarktabhängigen Betriebsrentenansprüche mehr übernommen. Das Kapitalanlagerisiko wird somit ausschließlich auf die Beschäftigten übertragen. Anstatt ein tragfähiges Rentensystem zu gewährleisten, zwingt die Bundesregierung die Beschäftigten in ein Glücksspiel hinein. Die Erfahrungen mit der Riester-Rente haben gezeigt: Nicht alle, aber die übergroße Mehrheit der Beschäftigten, wird bei diesem Spiel verlieren.

Sie möchten mehr über die Bedeutung der betrieblichen Altersvorsorge erfahren? Matthias W. Birkwald, MdB, rentenpolitischer Sprecher und Parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsfraktion DIE LINKE, spricht hierzu auch im Rahmen der Handelsblatt-Jahrestagung „Betriebliche Altersvorsorge“, die vom 27. bis 29. März 2017 in Berlin stattfindet.

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