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Matthias W. Birkwald

Eine solidarische Mindestrente ist realistisch

03.11.2016
Interview: Gitta Düperthal, junge welt

Von einer Lebensleistungsrente für Geringverdiener, wie im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD vereinbart, hat Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles, SPD, wieder Abstand genommen. Können Sie erklären, was sie nun plant?

Ihre genauen Pläne wird sie erst Mitte November vorlegen. Dass die sogenannte Lebensleistungsrente nicht kommt, begrüße ich, denn sie ist nicht geeignet, Altersarmut zu bekämpfen. Das Konzept hätte vorgesehen, nach 35 Jahren Beitragsjahren in der gesetzlichen Versicherung und 35 Jahren privater Vorsorge die Rente um wenige Euro aufzustocken. Die Voraussetzungen hätten nur sehr wenige erfüllt. Etwa 66.000 arme Ältere hätten derzeit einen Anspruch auf diese Leistung, antwortete die Bundesregierung auf meine Frage. Doch es leben bereits 2,7 Millionen ältere Menschen in Armut.

Was also schlagen Sie vor?

Die Partei Die Linke hat eine gute Alternative: Eine echte solidarische Mindestrente ist einzuführen, einkommens- und vermögensgeprüft. Dieser steuerfinanzierte Zuschlag auf niedrige Alterseinkommen würde dafür sorgen, dass niemand im Alter von weniger als 1.050 Euro leben müsste. Das Konzept der solidarischen Mindestrente ist realistisch. Unser Nachbarland Österreich hat es bereits verwirklicht. Dort heißt es Ausgleichszulage: Die gesetzliche Altersrente hat in jedem Fall mindestens eine Höhe von 1.030 Euro. Übrigens: Den guten Vorschlag von SPD-Generalsekretärin Katarina Barley, die Besserverdienenden mehr in die Rentenkasse einzahlen zu lassen, lehnt Frau Nahles ab. Wir Linken fordern das seit langem und wollen sich daraus ergebende hohe Rentenansprüche dann abflachen.

Nahles spricht von einer »doppelten Haltelinie« gegen fallendes Rentenniveau – was ist davon zu halten?

Das Rentenniveau ist doch schon im freien Fall. Geschieht nichts, wird es im Jahr 2045 bei 41,6 Prozent des Durchschnittseinkommens des Erwerbstätigen liegen. Das ist völlig inakzeptabel. Wir brauchen eine schnelle Anhebung auf 53 Prozent, um den Lebensstandard im Alter wieder zu sichern: Das hatten wir schon einmal, bevor Gerhard Schröder, SPD, Joschka Fischer, Grüne, und Walter Riester, ebenfalls SPD, das Rentenniveau in den Sinkflug geschickt haben. Die doppelte Haltelinie bei Nahles aber meint, dass die Rentenbeiträge nicht oder nur bedingt steigen dürfen.

Das halten Sie für falsch?

Die Rechnung ist ganz einfach: Würde das Rentenniveau von 47,9 wieder auf 53 Prozent angehoben, müsste ein Durchschnittsverdiener, genau wie sein Arbeitgeber, nur etwa 33 Euro mehr monatlich in die Rentenkasse einzahlen. Den Beschäftigten wird aber nach dem Drei-Säulen-Modell der Bundesregierung theoretisch zugemutet, vier Prozent ihres Einkommens in eine Riester-Rente zu stecken. Da dabei am Ende kaum etwas herauskommt, tun das nicht viele. Um es plastisch zu machen: Das durchschnittliche Bruttogehalt beträgt 3.022 Euro. Für einen Riestervertrag sind davon 108 Euro aus eigener Tasche zu zahlen. Unser Vorschlag wäre also 75 Euro günstiger; eine Standardrentnerin von heute, die 45 Jahre gearbeitet hat, hätte jedoch knapp 130 Euro mehr Rente.

Vielen Selbständigen schießen angesichts ihrer Rentenbescheide Tränen in die Augen – genau wie übrigens auch Verkäuferinnen, Sicherheitskräften und andere Beschäftigten – weil sie da einen Betrag unter 500 Euro finden, obgleich sie Vollzeit arbeiten. Was meint die Ministerin, wenn sie angibt, Selbständige vor Altersarmut schützen zu wollen?

Für Selbständige gibt es derzeit verschiedene Überlegungen: entweder sie zu verpflichten, eine Altersvorsorge abzuschließen oder sie in die gesetzliche Rentenversicherung aufzunehmen. Die Partei Die Linke plädiert für letzteres. Selbständige haben meist nicht genug Geld, um sich auf dem Kapitalmarkt abzusichern.

Aber Die Linke fragt ja niemand …

Das habe ich scharf kritisiert. Andrea Nahles hatte zu den Beratungen Union und SPD, nicht aber Linke und Grüne eingeladen. Auf meinen Druck hin haben wir im Nachgang dann Informationen der Ministerin erhalten.

Ist Ihr Modell überhaupt durchsetzbar?

Wir machen es immer wieder öffentlich und machen Druck. Was ein Lebensstandard sicherndes Rentenniveau angeht, haben wir Verbündete bei Sozialverbänden und in Gewerkschaften.