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Matthias W. Birkwald

Gerechtes Rentenrecht für DDR-Altübersiedler und -Flüchtlinge

17.03.2016

Plenarrede zur 1. Lesung des Antrages „DDR-Altübersiedlerinnen und Altübersiedler sowie DDR-Flüchtlinge vor Rentenminderungen schützen – Gesetzliche Regelung im SGB VI verankern“, Drucksache 18/7699, Donnerstag, den 17. März 2016, TOP 18

Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Liebe Betroffene auf den Besuchertribünen! Meine Damen und Herren! Am Tag ihrer Ankunft im Notaufnahmelager Friedland bekamen viele aus der DDR Geflüchtete einen Wegweiser des Bundesinnenministeriums in die Hand gedrückt. Darin lasen sie:

Flüchtlinge und Übersiedler aus der DDR und Berlin (Ost) werden in der gesetzlichen Rentenversicherung grundsätzlich so behandelt, als ob sie ihr gesamtes Arbeitsleben in der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt hätten.

Darauf hatten sich rund 316 000 Betroffene verlassen. Viele Jahre später erhielten sie ihren ersten Rentenbescheid, und sie wurden bitter enttäuscht; denn 1993 gab es im Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetz eine klammheimliche Änderung. Nun wurden die nach 1936 geborenen Übersiedlerinnen und Übersiedler und die DDR-Flüchtlinge rentenrechtlich wieder wie DDR-Bürgerinnen und -Bürger behandelt.

Ausgerechnet CDU, CSU und FDP machten DDR-Flüchtlinge rückwirkend wieder zu Bürgerinnen und Bürgern des Staates, den sie oft unter Lebensgefahr verlassen hatten. Das ist schäbig, mies und eines Rechtsstaates unwürdig.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich sage: Menschen, die aus der DDR flüchten mussten, abgeschoben wurden oder ein zermürbendes Ausreiseverfahren hinter sich hatten, dürfen nicht rückwirkend mehrere hundert Euro Rente im Monat gestohlen werden. Ein uns bekannter aus der DDR ausgereister Ingenieur fühlt sich betrogen, weil er statt 1 850 Euro Rente nur noch 1 350 Euro Rente erhält, also 500 Euro weniger, nur weil er Ostdeutscher war. Unfassbar!

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Werte SPD-Fraktion, Sie haben im April 2011 mit einem Antrag gefordert, die DDR-Altübersiedler und -Flüchtlinge vor Rentenminderungen zu schützen. Jetzt, als Regierungspartei, wollen Sie davon nichts mehr wissen. Das ist völlig unglaubwürdig.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe SPD, Sie können sich freuen; denn Sie haben eine gute Opposition. Linke und Grüne bringen Ihren Antrag aus der vergangenen Legislaturperiode heute gemeinsam noch einmal ein.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Martin Rosemann (SPD): Warum machen Sie keinen eigenen Antrag?)

Sie fanden ihn damals richtig, und in der Sache hat sich nichts geändert. Darum erinnern wir Sie im Interesse der Betroffenen gerne an Ihr Versprechen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich fordere Sie auf: Werben Sie bei Ihrem Koalitionspartner für Ihren und unseren Antrag! Sorgen Sie dafür, dass Arbeitsministerin Andrea Nahles schnell einen guten Gesetzentwurf vorlegt, damit das Fremdrentenrecht wieder gilt und eine Günstigerprüfung eingeführt wird!

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Damit würde das Vertrauen der Betroffenen in den Rechtsstaat wiederhergestellt.

Liebe Koalition, im Petitionsausschuss waren sich in der vergangenen Legislaturperiode alle Fraktionen einig, dass hier nun endlich gehandelt werden muss. Auch die zusätzlich eingeholten Berichte und Gutachten ergaben keinen triftigen Grund, dann plötzlich das Verfahren untätig zu beenden. Aber genau das ist geschehen. Deshalb haben die Betroffenen eine neue Petition eingereicht. Eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht läuft ebenfalls.

Die Betroffenen lassen nicht locker, allen voran die Interessengemeinschaft ehemaliger DDR-Flüchtlinge unter ihrem Vorsitzenden Dr. Jürgen Holdefleiß. Sie kämpfen - wie ich finde, völlig zu Recht - weiter engagiert um die ihnen versprochene Rente.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Vertrauen der Menschen war darauf begründet, dass sie, wenn sie alles zurücklassen, zumindest im Alter über das Fremdrentengesetz abgesichert sein und wie Westdeutsche behandelt werden würden. Die derzeitige Behandlung nach dem Rentenüberleitungsgesetz ist nicht stichhaltig, da im Einigungsvertrag vom Sommer 1990 beide deutsche Staaten nur die Überleitung der bundesdeutschen Rentenversicherung auf das Beitrittsgebiet vereinbart hatten.

Eine rückwirkende Rentenkürzung für Menschen, die vor der Wiedervereinigung in den Westen kamen, wurde eben nicht vereinbart. Das sehen nicht nur Linke und Grüne so, das sieht auch der Verfassungsrechtler Professor Detlef Merten so. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD: Warten Sie nicht, bis Ihnen das Bundesverfassungsgericht Beine macht. Stellen Sie das Vertrauen der aus der DDR geflüchteten Menschen in den Rechtsstaat wieder her und schaffen Sie diese Ungerechtigkeit endlich ab. Jetzt!

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ganze Debatte als Video: www.bundestag.de/mediathek