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Matthias W. Birkwald

So soll die Deutschland-Rente funktionieren

Artikel aus der SZ vom 19.02.16 mit einem Beitrag von M.W. Birkwald MdB

18.02.2016
Th. Oechsner - SZ

Eins ist sicher: Das Rentenniveau wird gemessen an den Löhnen in den nächsten 15 Jahren deutlich sinken. Riester-Rente oder betriebliche Altersvorsorge können dies nicht ausgleichen. Deshalb gibt es nun die Idee für eine weitere private Altersvorsorge: die Deutschland-Rente.

Was ist die Deutschland-Rente?

Drei hessische Landesminister, Thomas Schäfer (Finanzen), Stefan Grüttner (Soziales), beide in der CDU, und ihr grüner Kollege Tarek Al-Wazir (Wirtschaft) schlagen vor, in der Altersvorsorge ein neues und, wie sie es nennen, "einfaches, kostengünstiges Standardprodukt für jedermann" einzuführen. Verwaltet wird der Anlagetopf vom Staat, daher der Name "Deutschland-Rente". Jeder Arbeitnehmer soll in diesen zentralen Fonds einzahlen können. Dazu zwackt der Arbeitgeber die Beiträge vom Gehalt ab und führt diese an die Rentenversicherung ab. Fondsmanager legen das Geld anschließend am Kapitalmarkt an. Der Fonds soll - anders als bei Versicherern oder Fondsgesellschaften - "ohne eigenes Gewinninteresse auf Selbstkostenbasis" arbeiten.

Was soll dadurch besser werden?

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Die drei Minister halten die private und betriebliche Altersvorsorge in Deutschland für "unterentwickelt". Kaum ein Regierungspolitiker hat dies bislang so offen ausgesprochen. Dabei sind die Mängel seit langem bekannt: Nur wenige Geringverdiener, also diejenigen, die es am nötigsten hätten, legen etwas fürs Alter zurück. Die Riester-Rente nutzt nicht einmal jeder Zweite mit einem Anspruch. Und diejenigen, die es tun, schöpfen die staatlichen Zulagen und Steuervorteile vielfach nicht voll aus. Außerdem kritisiert das Politiker-Trio, dass die Riester-Produkte "zum Teil völlig überteuert" seien. Hinzu kommt: In kleinen Unternehmen sorgt nur etwa jeder Vierte über den Betrieb für eine Zusatzrente vor. Deshalb plädieren die Minister für die Deutschland-Rente: "Der Staat muss gerade den kleinen Unternehmen und Arbeitnehmern die heute weit verbreitete Angst vor Komplexität und hohen Kosten der zusätzlichen Altersvorsorge nehmen."

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Soll die Zusatz-Rente verpflichtend sein?

Bislang können die Bürger frei entscheiden, ob sie zusätzlich vorsorgen. Auch jeder Arbeitgeber kann eine Betriebsrente anbieten oder Geld zu den Beiträgen des Arbeitnehmers hinzulegen, er muss es aber nicht. Die drei Minister setzen nun auf "sanften Zwang": Alle Arbeitnehmer sollen automatisch Zusatzbeiträge zahlen, "sofern sie gegenüber dem Arbeitgeber nicht aktiv widersprechen". Der Vorteil: In anderen Ländern ist dieses Prinzip sehr erfolgreich. Bis zu 90 Prozent der Beschäftigten legen dort so zusätzlich Geld fürs Alter zurück. Nur so lasse sich "ernsthaft Altersarmut bekämpfen", argumentiert das Trio.

Was ist ihr Vorbild?

Sie nennen den norwegischen Staatsfonds. Dieser hat seit seiner Gründung 1997eine durchschnittliche Rendite von mehr als fünf Prozent jährlich erwirtschaftet. Der Fonds, der weltweit etwa 750 Milliarden Euro - vielfach auch in Aktien - angelegt hat, ist jedoch nicht direkt für die Altersvorsorge der Bürger gedacht. Vielmehr wollen die Norweger damit Löcher in der Staatskasse stopfen, wenn die Öl-Einnahmen nicht mehr sprudeln. Deshalb hat der Fonds auch gerade Probleme: Weil der Ölpreis abgestürzt ist, fließt weniger Geld in die Kasse. Ein anderes Vorbild ist der schwedische Staatsfonds.

Welche Rolle soll die Anlage in Aktien bei der Deutschland-Rente spielen?

Die Lebensversicherer in Deutschland durften bis Ende 2015 nicht mehr als 35Prozent ihres Anlagekapitals in Aktien anlegen. Jetzt gibt es neue, komplizierte Vorschriften. Ende September 2015 hatten die Lebensversicherer gerade einmal3,9 Prozent ihrer Kapitalanlagen oder gut 33 Milliarden Euro in Aktien investiert, obwohl sich wegen der historisch niedrigen Zinsen mit festverzinslichen Wertpapieren derzeit wenig erwirtschaften lässt. Bei der Deutschland-Rente dürften die Fondsmanager viel stärker auf Aktien setzen. Dadurch steigt sowohl die Chance auf höhere Erträge, als auch das Risiko von Kursverlusten. Langfristig haben sich Anlagen in Aktien aber als deutlich rentabler erwiesen als solche in Anleihen. Die drei Minister schreiben: "Durch einen höheren Aktienanteil könnte gleichzeitig mehr Kapital für den Aktienmarkt und Börsengänge junger Unternehmen zur Verfügung gestellt werden, um Wachstum und Innovationen zu finanzieren."

Besteht nicht die Gefahr, dass der Fonds in Notzeiten geplündert wird?

Es gibt den Spruch: "Eher legt ein Hund einen Wurstvorrat an, als dass Politiker einen Milliardenschatz in einer Sozialkasse unangetastet lassen." Deshalb ist die Sorge groß, dass in Notzeiten auch in den Geldtopf der Deutschland-Rente gegriffen wird. Die drei Minister sagen deshalb: Der Fonds müsse "geschützt vor politischem Zugriff" sein.

Die Lücke ist größer als gedacht

Gut 16 Millionen Bürger haben einen Riester-Vertrag. In knapp ein Fünftel der Verträge fließt jedoch gar kein Geld mehr. Außerdem schöpft nur gut jeder Zweite die staatliche Förderung der privaten Altersvorsorge voll aus. Schon das zeigt: Anders als dies 2002 vorgesehen war, wird die Riester-Rente in vielen Fällen nicht ausreichen, um die Senkung des Rentenniveaus von einst mehr als 50 Prozent eines Durchschnittslohns auf unter 45 Prozent bis zum Jahr 2030 auszugleichen. Nun legt eine Antwort des Bundesarbeitsministeriums auf eine Anfrage der Linken nahe: Die Differenz zwischen dem, was zusätzlich zurückgelegt werden müsste, und dem, was tatsächlich in die Riester-Rente fließt, ist sogar noch größer, als bislang gedacht.

Die Bundesregierung kalkuliert so: Die Arbeitnehmer sollen nicht nur vier Prozent ihres sozialversicherungspflichtigen Bruttolohns in einen Riester-Vertrag stecken. Sie sollen darin auch - was bislang kaum bekannt ist - die Steuerersparnis einzahlen, die sich durch die schrittweise Freistellung der Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung ergibt. Nur so lasse sich "die Dämpfung der Rentensteigerung" und die stärkere Besteuerung der gesetzlichen Renten durch die Einführung der sogenannten nachgelagerten Besteuerung ausgleichen, hieß es schon im Alterssicherungsbericht der Bundesregierung von 2012.

Aber was macht diese Steuerersparnis aus? Der rentenpolitische Sprecher der Linken, Matthias Birkwald, hakte nach. Diese beläuft sich laut Arbeitsministerium 2015 auf 1,4 Prozent, 2020 auf 2,1 und 2030 bereits auf3,2 Prozent des Bruttoeinkommens. Hinzu kommen die vier Prozent für die Riester-Rente. Gerechnet wurde dabei für einen Single ohne Kinder mit Durchschnittsverdienst. Dieser beträgt in der Rentenversicherung derzeit 2917 Euro. Wie viele Beschäftigte tatsächlich so viel vom Lohn zusätzlich abknapsen, ist nicht bekannt. Aber schon der Sozialbeirat der Bundesregierung merkte an, es sei zu hinterfragen, ob dies überhaupt geschehe.

Für Birkwald belegen die Zahlen der Bundesregierung, "dass die Beschäftigten für die private Altersvorsorge weitaus stärker bluten müssen, um im Alter ihren Lebensstandard zu sichern, als bisher von ihr behauptet". Er fordert die Bundesregierung auf, das Rentenniveau anzuheben. Dies sei möglich, wenn die Arbeitnehmer statt in die Riester-Rente zusammen mit den Arbeitgebern mehr in die Rentenversicherung zahlen. Für die Beschäftigten sei das nicht nur günstiger. Die gesetzliche Rentenversicherung biete auch bessere Leistungen wie eine Erwerbsminderungs- oder eine Witwenrente.

Thomas Öchsner