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Matthias W. Birkwald

Der "wohlverdiente Ruhestand" muss erhalten bleiben

Artikel von Matthias W. Birkwald in der Huffingtonpost

28.07.2015

Die ARD-Reportage von Reinhold Beckmann (29.06.2015) hat es gezeigt: Jahr für Jahr steigt die Zahl der aktiven und rüstigen Rentnerinnen und Rentner, die im wohlverdienten Ruhestand nicht nur die Enkel in den Kindergarten bringen, eine Jugendmannschaft betreuen oder sich endlich mal dem Garten widmen, sondern die weiter einer Erwerbsarbeit nachgehen wollen. Und es können.

Aber es gibt auch die anderen Rentnerinnen und Rentner, von denen in der Beckmann-Reportage etwas weniger zu sehen war und deren Existenz von unserer Gesellschaft nur allzu oft vergessen oder verdrängt wird.

Diese Älteren gehen nicht in den wohlverdienten Ruhe- oder Unruhestand, sondern sie sehen einer unsicheren Zukunft entgegen. Viele arbeiten über ihre persönliche Regelaltersgrenze (derzeit 65 Jahre und vier Monate) hinaus weiter. Manche in Vollzeit, viele in Teilzeit und sehr viele in Minijobs. Sie gehen zum Beispiel putzen oder fahren Taxi, sie tragen Zeitungen aus, sie arbeiten im eigenen Handwerksbetrieb, bei ihrem bisherigen Arbeitgeber, in Bäckereien, auf dem Markt oder auf dem Bauernhof weiter. Manche, weil sie wollen, immer mehr, weil sie müssen!

Viele - gerade Frauen - müssen zudem Angehörige pflegen oder Verantwortung für das Enkelkind der alleinerziehenden Tochter übernehmen. Für sie alle gilt: Mit dem Ruhestand, wie er mal war, wird es nichts. Das Motiv, endlich Freizeit zu haben, endlich verreisen zu können oder endlich den eigenen Garten mal so richtig umzugraben, mag vermeintlichen Demografieexpert*innen ein Graus sein. Ich halte es für legitim.

Im Jahr 2013 mussten 2,6 Millionen Menschen im Rentenalter von weniger als 979 Euro netto im Monat leben, in der Mehrzahl Frauen. Ein solches Alterseinkommen reicht vielleicht noch zum Überleben, aber für den Theaterbesuch oder die Wochenendreise mit den ehemaligen Kollegen und Kolleginnen reicht es nicht. Und der Enkelin das gewünschte Laptop zu Weihnachten zu schenken, ist auch nicht drin.

Elf Prozent aller Rentnerhaushalte gaben an, dass sie sich eine Woche Urlaub im Jahr nicht leisten könnten und auch bei unerwartet anfallenden Ausgaben von 900 Euro für die Autoreparatur oder eine dringend benötigte neue Waschmaschine passen müssten!

Warum? Kein Geld!

Zum Sozialamt gehen und einen „Antrag auf Grundsicherung im Alter" stellen? Nur über meine Leiche! Das sagen vor allem viele ältere Frauen, denn sie sind am stärksten von Altersarmut betroffen.

Oft ist seit einiger Zeit zu hören: Wir leben im Durchschnitt immer länger, deshalb müssen wir alle auch länger arbeiten und dann eben zur Rente dazu verdienen. Bis zum Umfallen? Wollen wir wirklich die Maloche bis zum Tode?

Was macht denn die Krankenschwester, die mit einem kaputten Rücken schon im Alter von knapp 61 nicht mehr weiterarbeiten kann? Ältere sind weit häufiger arbeitslos als Jüngere, fast die Hälfte von ihnen ist langzeiterwerbslos. Ein langes, hartes Arbeitsleben endet häufig auf den letzten Metern in Hartz IV mit all seinen Schikanen.

Jede(r) fünfte Neurentnerin oder Neurentner des Jahres 2014 musste wegen Krankheit vorzeitig in eine Erwerbsminderungsrente gehen. (Selbst die volle EM-Rente beträgt im Durchschnitt weniger als 700 Euro.) Das heißt: Viele Ältere schaffen es nicht einmal, bis zum verdienten Ruhestand in ihrem Beruf zu bleiben.

Viele Konservative, Neoliberale, Sozialdemokrat*innen und Grüne sagen auch: Eine auskömmliche Rente für Alle ist eben nicht mehr finanzierbar, darum müssen wir privat vorsorgen und zum Beispiel Riestern.

Was machen wir aber zukünftig mit jenen zu niedrigen Löhnen oder unfreiwillig in Teilzeit Beschäftigten, die kein Geld für die Beiträge zu einer Riesterrente übrig gehabt hatten? Die
haben vielleicht nach zwei Stunden Verkaufsgespräch mit einem Versicherungsvertreter - zu Recht - gesagt: Dann kann ich mein Geld auch gleich unter´s Kopfkissen packen? Die dann vielleicht noch im aktuellen Heft 08/2015 der „Finanztest" lasen: „Viele Riester-Sparer sind ratlos, wütend, einige geradezu verzweifelt."

Was sagen diese Menschen wohl, wenn sie im Rentenbericht, den die Bundesregierung Jahr für Jahr veröffentlicht, Jahr für Jahr den gleichen - Entschuldigung - Mist läsen: „In Zukunft wird der erworbene Lebensstandard nur erhalten bleiben, wenn die finanziellen Spielräume des Alterseinkünftegesetzes und die staatliche Förderung der privaten Vorsorge (Riesterrente) genutzt werden, um eine private Vorsorge aufzubauen."

Sie bleiben frustriert zurück. Sie schalten ab, wenn sie den Ex-SPD-Chef Franz Müntefering bei „Beckmann" sehen. Denn Schwarz-Rot hat die Rente erst ab 67 eingeführt und Rot-Grün hat die drastischen Kürzungsfaktoren in die Rentenformel eingebaut.

Wenn wir all die Vergessenen und Verdrängten Älteren, die nicht bis zum Umfallen arbeiten können oder wollen, die nicht privat vorsorgen können oder wollen, ernst nähmen, dann wäre es gerecht,

  • wenn Reinhold Beckmann den verdienten Ruhestand im eigentlichen Sinne des Wortes als Lebensmodell genauso verteidigen würde wie den arbeitenden Rentner oder die arbeitende Rentnerin. Nein, wir sollten es erstmal schaffen, dass alle es mit guter, stressfreier und anständig bezahlter Arbeit überhaupt bis zum Ruhestand schaffen;
  • wenn die staatliche Riesterförderung gestoppt werden würde. Wer heute schon einen Riester-Vertrag hat, soll die bisher angesparten Gelder reibungslos, freiwillig und kostengünstig auf sein persönliches Rentenkonto bei der Deutschen Rentenversicherung einzahlen können;
  • wenn die in den kommenden Jahren vorgesehenen jährlichen 3,5 Milliarden Euro Riesterförderung zur Stabilisierung des gesetzlichen Rentenniveaus eingesetzt würden. Damit ließe sich dauerhaft eine zusätzliche Rentenerhöhung von 1,3 Prozentpunkten finanzieren;
  • wenn alle Kürzungsfaktoren aus der Rentenanpassungsformel gestrichen und die Rückkehr zu einem angemessenen und lebensstandardsichernden Rentenniveau vor Steuern in Höhe von 53 Prozent (so hoch war es 2001) langfristig durch eine jährliche, moderate Beitragssatzerhöhung und Beiträge in eine Rente für alle Erwerbstätigen ohne Bemessungsgrenze finanziert werden würde;
  • wenn sich Ältere, besonders auch chronisch Kranke oder Alleinerziehende, später darauf verlassen könnten, von nicht weniger als 1050 Euro im Monat leben zu müssen;
  • wenn auch die Jüngeren sich sicher sein könnten: Spätestens ab 65 kann (!) ich in Rente gehen und zwar ohne Abzüge und
  • wenn dann am Ende die neuen, souveränen Älteren selbst bestimmen könnten, wo, wie und mit wem sie ihren Ruhestand verbringen mögen. Dann wären Oma und Opa nicht auf Almosen angewiesen, sie wären nicht vergessen und unsere Alten könnten selbstbestimmt entscheiden, wohin mit ihnen.

Dafür engagiert sich DIE LINKE.