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Matthias W. Birkwald

Rente erst ab 67 ist Sozialpolitik mit dem Hackebeil!

15.12.2011
Redebeitrag von Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.) am 15.12.2011 um 12:40 Uhr (149. Sitzung, TOP 4)

Rede von Matthias W. Birkwald (DIE LINKE)

zur Beratung der Großen Anfrage

„Rente erst ab 67 – Risiken für Jung und Alt“, BT-Drs. 17/7966 v. 30.11.2011

am 15.12.2011 im Plenum des Deutschen Bundestages

Frau Präsidentin!

Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren!

Als Erstes möchte ich einmal ein paar Worte zur SPD sagen.

(Otto Fricke (FDP): Nein!)

Ihr Kollege, unser Bundestagskollege Ottmar Schreiner hat auf Ihrem Bun­desparteitag eine hervorragende und engagierte Rede zur Rentenpolitik und gegen Altersarmut gehalten. Man muss deutlich sagen: Die SPD ist seinen vernünftigen Vorschlägen leider nicht gefolgt.

(Elke Ferner (SPD): Es ist aber nicht abgelehnt worden! Das gehört zur Wahrheit auch dazu!)

Deshalb müssen die Menschen wissen ‑ wir haben das gerade noch einmal gehört ‑: Die SPD hält weiterhin grundsätzlich an der Rente erst ab 67 fest. Sie will sie nur so lange aussetzen, bis die Hälfte aller 60- bis 64-jährigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung steht. Wenn alles so weiterliefe wie bisher, dann wäre das frühestens in 16 Jahren, also 2027, der Fall. Frau Ministerin, auch einmal zu Ihren Zahlen: Das wäre ein Aufwuchs von 1,5 Prozentpunkten pro Jahr. Mehr ist das nicht! Ich sage nur: Das ist Wischiwaschi. Entscheiden Sie sich, liebe SPD!

(Beifall bei der LINKEN)

So traurig es auch ist: Wer SPD sagt, wird auch weiterhin an Rentenkahl­schlag denken müssen. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der LINKEN)

Besonders hart würden die geforderten zwei Jahre Arbeit zusätzlich bis zur Rente jene treffen, die schon heute aus gesundheitlichen Gründen oder weil sie als ältere Menschen einfach keinen Job mehr finden, vorzeitig in Rente gehen müssen. Chemiearbeiter, Chemiearbeiterinnen, Elektriker und Elektrikerinnen gehen heute zum Beispiel im Durchschnitt mit 62 Jahren in die Rente. Knapp 70 Prozent von ihnen müssen Rentenkürzungen hin­nehmen. Bauarbeiter gehen mit knapp 63 Jahren in die Rente ‑ drei von fünf mit Abschlägen.

Auf diese bereits schlechte Ausgangslage setzen Sie mit der Rente erst ab 67 nun noch einen obendrauf. Das heißt, Sie werden Arbeitgebern Milliarden in die Tasche spülen, und vor allem werden die Renten der Be­troffenen massenhaft gekürzt werden. Das ist die drohende Wirklichkeit der Rente erst ab 67, und genau das will die Linke verhindern.

(Beifall bei der LINKEN)

Es heißt ja ‑ wir haben das heute wieder gehört ‑, wer länger lebt, könne länger arbeiten. Das ist an sich schon falsch; denn die Rente erst ab 67 wird die Menschen weder gesünder machen noch haufenweise neue Jobs für Ältere hervorbringen. Wo sollen die denn herkommen?

(Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Richtig!)

Es kommt aber noch viel schlimmer. Die Lebenserwartung steigt nicht für alle Menschen, Herr Kolb. Im Gegenteil!

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Doch!)

‑ Hören Sie jetzt bitte gut zu, damit Sie nicht wieder so einen Unsinn erzäh­len.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Die durchschnittliche Lebenszeit von Männern mit niedrigen oder niedrigsten Löhnen hat sich in den vergangenen zehn Jahren nämlich nicht etwa erhöht, sondern sie hat sich um zwei Jahre verkürzt.

(Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Nein! ‑ Dr. ‑ Heinrich L. Kolb (FDP): Können Sie mir sagen, wo das stehen soll? ‑ Otto Fricke (FDP): Das ist doch falsch!)

Im Osten hat sich die durchschnittliche Lebenszeit geringverdienender Män­ner sogar um fast vier Jahre verringert.

(Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Falsch! ‑ Frank Heinrich (CDU/CSU): Blödsinn!)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Herr Kollege.

Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):

All diese Zahlen können Sie in der Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage nachlesen, und die Deutsche Rentenversicherung hat sie bestätigt.

(Beifall bei der LINKEN ‑ Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Wo steht das?)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Der Herr Weiß würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):

Bitte schön, Herr Weiß.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Bitte, Herr Weiß.

Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU):

Herr Kollege Birkwald, nachdem bereits die Vorrednerin, Frau Bundesminis­terin von der Leyen, und auch die Vorredner der Regierungsfraktionen Sie darauf hingewiesen haben, dass Sie die Zahlen schlichtweg falsch wieder­geben,

(Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Nein, das tut er nicht!)

frage ich Sie: Würden Sie jetzt endlich einmal zugestehen, dass das, was Sie vortragen, schlichtweg falsch ist?

(Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Unsinn! Ich habe es nachgelesen!)

Es ist schlichtweg falsch, und Sie haben eine üble Falschmeldung in die Presse gesetzt, weil Sie die Sterbetafeln der Deutschen Rentenversicherung mit den Untersuchungen zur Lebenserwartung verwechseln.

(Otto Fricke (FDP): Aha!)

Das ist der grundlegende Fehler, den Sie gemacht haben.

Die Untersuchungen der Deutschen Rentenversicherung, die Sie nachlesen können, bestätigen für alle Einkommensgruppierungen eine stei­gende Lebenserwartung. Genauso bestätigt das Statistische Bundesamt

(Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Stimmt nicht!)

steigende Lebenserwartungen für alle Bevölkerungsgruppen in Deutschland.

(Elke Ferner (SPD): Dann hat die Bundesregierung wohl falsch geantwortet!)

Ich bitte Sie jetzt herzlich, hier im Plenum des Deutschen Bundesta­ges endlich diesen Fehler einzugestehen. Sterbetafel hat nichts mit Leben­serwartungstafel zu tun. Lesen Sie bitte die richtige Statistik, und geben Sie die bitte hier wieder.

Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):

Herr Weiß, Sie müssen jetzt wirklich sehr tapfer sein, und Sie auch, Herr Kolb. Jetzt passen Sie einmal auf. Schauen Sie doch bitte alle einmal auf Seite 19 der Antwort der Bundesregierung auf die Großen Anfrage nach. Da heißt es in der Antwort der Bundesregierung:

„Die durchschnittliche Bezugsdauer ... ist ... gestiegen ... Dies spiegelt ... die Zunahme der Lebenserwartung ... wider.“

Damit beziehen Sie sich auf den Durchschnitt über alle. Wenn dieser Satz richtig ist, dann ist eine gesunkene Rentenbezugsbedauer natürlich auch ein Beleg für eine gesunkene Lebenserwartung.

(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Nein!)

‑ Selbstverständlich! Jetzt hören Sie einmal zu. Sie müssen rechnen können.

(Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Sie können nicht rechnen! - Zuruf von der CDU/CSU: Oh Mann!)

‑ Wollen Sie jetzt eine Antwort haben oder nicht? ‑ Schauen Sie in den An­hang auf Seite 46 ff. Schauen Sie sich in der pdf-Datei die Seiten 96 ff. an. Da geht es um fast 16 400 Fälle, Männer. Das sind diejenigen, die nach dem 65. Lebensjahr als langjährig Versicherte Rente bezogen haben. Da müssen Sie nur ganz einfach rechnen. Wenn Sie ein durchschnittliches Sterbealter ausrechnen wollen, dann müssen Sie sich ansehen, wie lange die Renten­bezugsdauer war. Die durchschnittliche Rentenbezugsdauer bei geringver­dienenden Männern nach dem 65. Lebensjahr betrug im Jahr 2001 12,5 Jahre. Im Jahre 2010 waren es 10,5 Jahre. Das sind zwei Jahre weni­ger oder minus 16 Prozent. Wer rechnen kann, ist klar im Vorteil.

(Beifall bei der LINKEN - Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Das ist falsch, Herr Birkwald! - Otto Fricke (FDP): Jetzt weiß ich, warum die DDR pleite gegangen ist!)

Wenn jetzt behauptet wird, Herr Weiß, das seien zu geringe Fallzah­len: Diese über 16 000 Männer sind 7,4 Prozent aller Betroffenen. Sie kön­nen das gerne nachrechnen. Die Zahlen stimmen. Das haben auch Journa­listen gemacht und anschließend schreiben können. Das Dementi der Regie­rung war sehr verhalten. Denn es stimmt selbstverständlich, was ich Ihnen hier erzähle.

(Beifall bei der LINKEN)

Bleiben wir dabei: Sie wollen den Menschen unter diesen Bedingun­gen noch zwei Jahre länger Arbeiten oder gekürzte Renten zumuten. Da sage ich: Das ist eine Verhöhnung der Betroffenen und ein sozialpolitischer Super-GAU, ein Super-GAU, den Union, SPD, FDP und Grüne zu verant­worten haben; denn de facto wird die Rentenzahlung gerade für Männer mit geringen Einkommen mit der Rente erst ab 67 um bis zu sechs Jahre ver­kürzt, wenn es bis zum Ende gerechnet wird. Das ist Sozialpolitik mit dem Hackebeil. Auch deswegen fordert die Linke: Weg mit der Rente erst ab 67, ohne Wenn und Aber.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, eine drastische Rentenkürzung, wie es Herr Schiewerling eben gesagt hat, ist nicht die Alternative zur Rente erst ab 67. Das wird ja fälschlicherweise immer wieder behauptet. Im Gegenteil: Sie ist die unvermeidliche Folge der verordneten längeren Lebensarbeitszeit.

Die von Ihnen, Frau Ministerin von der Leyen, als drastisch bezeich­neten höheren Beiträge, die nötig wären, um die Rente erst ab 67 zu verhin­dern, schrumpfen bei genauerer Betrachtung ‑ das ist hier schon gesagt worden ‑ auf einen halben Beitragssatzpunkt bis zum Jahre 2030 zusammen. Bei einem heutigen Durchschnittsverdienst wären das knapp 6,30 Euro im Monat. Das wäre allemal besser als gekürzte Renten im Alter.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber selbst das muss in diesem Umfang nicht sein. Deswegen fordere ich Sie auf: Verzichten Sie auf die geplanten Beitragssatzsenkungen. Dann kann in den kommenden Jahren die Rente finanziert werden, ohne dass das Renteneintrittsalter angehoben werden muss.

Meine Damen und meine Herren, es ist nicht sinnvoll, starr an einer Altersgrenze als Voraussetzung für eine Rente festzuhalten. Die Linke sagt, wir brauchen auch flexible Übergänge in den Ruhestand. Denken Sie bei­spielsweise an Fliesenleger, Altenpfleger, Krankenschwestern und Erziehe­rinnen, oder denken Sie an Gerüstbauer und Sanitäter. Die Linke will, dass beispielsweise Menschen wie diese, die 40 Jahre Beiträge in die Renten­kasse eingezahlt haben, vor dem 65. Geburtstag in Rente gehen dürfen, und zwar ohne Kürzungen. Das wäre gerecht.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, unsere Rentenpolitik geht weit über die notwendige Kritik an der Rente erst ab 67 hinaus. Das linke Rentenkonzept werden wir im kommenden Jahr hier zur Diskussion stellen. Drei Punkte werden dabei von zentraler Bedeutung sein: Erstens. Linke Rentenpolitik sichert den Lebensstandard. Zweitens. Linke Rentenpolitik schützt vor Al­tersarmut. Drittens ist unsere linke Rentenpolitik

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Unbezahlbar!)

geprägt vom Prinzip der Solidarität

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Linke Rentenpolitik ist un­bezahlbar!)

und bezahlbar.

(Beifall bei der LINKEN)