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Matthias W. Birkwald

Vom Desaster zum wichtigen Aufbruchssignal: Der „wilde Streik“ bei Ford Köln 1973

Rappelvoll besetzter Feierabendtalk mit dem hervorragenden Referenten Dr. Witich Roßmann zum 50. Jahrestag eines historischen Arbeitskampfes

30.08.2023

Am 28. August hatte ich die Freude, Kollegen Dr. Witich Roßmann, den Kölner DGB-Vorsitzenden und langjährigen Ersten Bevollmächtigten der IG Metall Köln/Leverkusen als Referenten zu begrüßen.

Das Thema seines Vortrags beschäftigt derzeit die politische Stadtöffentlichkeit Kölns und des Rheinlands: Der „wilde“ Streik der Arbeiter bei Ford vom 24.-31. August 1973.

Zu dessen 50. Jahrestag wurden viele Veranstaltungen in unterschiedlichen Formaten aufgelegt, u.a. von der Rosa Luxemburg-Stiftung Nordrhein-Westfalen. Witich Roßmann hat dazu in den Archiven der Gewerkschaft geforscht. Der Einladung folgten eine große Zahl 33 jüngere bis sehr alte Interessierte, viele mit gewerkschaftsaktivem Hintergrund, darunter auch mehrere „Zeitzeugen“. 

Witich Roßmann beeindruckte das aufmerksame Publikum mit seiner bemerkenswerten Detailkenntnis. Bereits in seinem empfehlenswerten Artikel für die Zeitschrift „Sozialismus“ hatte der promovierte Politologe eine Unmenge an Material und Gesprächen mit Zeitzeugen und Beobachtern verarbeitet. Bei seinem Vortrag löste sich der Referent immer wieder von seinem Manuskript und wusste bis in Details über Lohngruppen, Inflationsraten und tagesspezifische Ereignisse auswendig historische Fakten vorzutragen. Roßmann bettete den damaligen Streik in eine Konjunktur „wilder“ Streikbewegungen in der alten Bundesrepublik ein, zu denen fast zeitgleich diejenigen an Rhein und Ruhr bei Pierburg (13.8.), bei Küppersbusch (16.8), Opel Bochum (22.8) und Rheinstahl (22.8.) zählten. Die Streikbewegungen seien einzuordnen in Versuche der Beschäftigten, gegen die damalige hohe Inflation die Kaufkraft der Belegschaften zu verteidigen, sowie in erfolgreiche Organisierungen von Linken innerhalb der Gewerkschaften. Beim Ford-Streik ging es so ursächlich nicht primär um migrationsbezogene Fragen, sondern von gewerkschaftlicher Seite zunächst darum, wie in den anderen Betrieben mit einem kurzen Warnstreik einen Inflationsausgleich sowie Verbesserungen der Arbeitsbedingungen, z.B. Änderung der Bandgeschwindigkeit zu erkämpfen.

Anders als zum Beispiel Opel setzte Ford jedoch eine vom Arbeitgeberverband erarbeitete neue Konfliktstrategie der Verweigerung von Gesprächen um, so dass die Verhandlungslogik der Gewerkschaften ins Leere lief und, so Roßmann, der Streik zunehmend einer „Aufstandslogik“ folgte.

Innerhalb des weiterhin sehr diszipliniert verlaufenden Streiks übernahm bei Ford ein Streikkomitee radikal linker Betriebsaktivisten die Kontrolle und wurde auch von den Medien immer deutlicher in einen Zusammenhang mit der hohen Anzahl ausländischer Arbeiter gestellt. Auch wenn der Streik in einem Desaster mit Polizeieinsatz und Gewalt endete, wurde er, so unterstrich Roßmann, zugleich Ausgangspunkt noch stärkerer Einbeziehung migrantischer Beschäftigter in die Arbeit der Gewerkschaften.

So gewann bereits zwei Jahre nach dem Streik eine paritätisch aus deutschen und migrantischen Beschäftigten besetzte Liste bei Ford in Köln die Betriebsratswahlen. Heute sind migrantische Kolleginnen und Kollegen in der IG Metall und den anderen DGB-Gewerkschaften auf allen Ebenen als Betriebsrätinnen und -räte, Vertrauensleute und Gewerkschaftssekretärinnen und -sekretäre vertreten. Diese Selbstverständlichkeit ist auch ein Verdienst des damaligen Streiks, der wie kaum ein anderer die öffentliche Aufmerksamkeit bis in oberste Regierungsetagen binden konnte. Interessierte Nachfragen, mehrfaches Lob in höchsten Tönen und wiederholter Applaus bezeugten die Zufriedenheit der Anwesenden mit der Veranstaltung und insbesondere mit ihrem Referenten Dr. Witich Roßmann, dem ich an dieser Stelle nochmals herzlich meinen Dank ausspreche.