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Matthias W. Birkwald

„Wir sind viele, wir sind laut, weil Ihr unsere Rente klaut!“

Rede von Matthias W. Birkwald bei der Demonstration der Direktversicherungsgeschädigten in Kassel am 15.04.2023

15.04.2023

Sehr geehrter Herr Korth, sehr geehrter Herr Dr. Hintsch, sehr geehrter Herr Kieseheuer,

 

meine sehr geehrten Damen und Herren,

werte Direktversicherungsgeschädigte und werte Betriebsrentner,

liebe Feundinnen und Freunde,

 „Wir sind viele, wir sind laut, weil Ihr unsere Rente klaut!“.

Das ist der Schlachtruf der Direktversicherten.

Das ist Euer Schlachtruf!

Den finde ich super!

 

Und diesen Ruf unterstützen DIE LINKE und ich selbst aus vollem Herzen!

Aber der Schlachtruf gegen den Rentenklau darf nicht nur eine Herzensangelegenheit bleiben, er muss die Regierenden auch erreichen!

Dem Kanzler müssen die Ohren schlackern!

Und nicht nur das!

Der Kampf gegen der Rentenklau muss auch konkret werden!

Der Rentenklau muss per Gesetz verboten werden!

Viele Eurer Forderungen müssen ins Gesetz.

 

Deshalb habe ich am 25. Januar Bundeskanzler Olaf Scholz im Plenum des Deutschen Bundestages daran erinnert, dass er im Wahlkampf, und auch nach der Bundestagswahl, Ihnen und Euch allen hier und sechs Millionen weiteren Direktversicherten versprochen hat, den jahrzehntelangen Rentenklau an Eurer Altersvorsorge endlich zu stoppen.

Der Bundeskanzler hatte ja am 1. September 2022 bei einem Bürgerdialog in Essen etwas unklar für alle Direktversicherungsgeschädigten versprochen, ZITAT – „eine irgendwie fiskalisch mögliche Lösung“ zu finden.

 

Irgendwie fiskalisch!

Das konnte und wollte ich in dieser Form so nicht stehen lassen.

Was soll denn das heißen?

„Irgendwie fiskalisch.“

 

Ich fühlte dem Kanzler also direkt im Plenum des Bundestages, auf den Zahn.

Ich frug ihn Zitat „im Namen von sechs Millionen Direktversicherungsgeschädigten“…

 

„Zu welchem Zeitpunkt und vor allem in welcher Form beabsichtigen Sie, das Problem nun endlich konkret zu lösen?“

Seine Antwort war bemerkenswert.

Er tat so, als stünde da irgendwas im Koalitionsvertrag dazu.

Steht es nicht.

Aber es gut, dass er das denkt.

Und als ich noch einmal nachhakte, verwies Olaf Scholz auf den Freibetrag, den Ihr alle kennt und den Sie alle auch für die heutigen Renten und für die Betriebsrenten und Direktversicherungen Ihrer Kinder erstritten haben.

 

Kann er ja machen, aber dann kam leider wieder so ein schwurblerischer Scholz:

Ich zitiere:

„Dann stellt sich diese Frage noch für die Vergangenheit. Aber die ist eben nicht so trivial zu beantworten.“

Hm, was machen wir denn damit?

Was machen wir denn mit denen, die schon seit Jahren doppeltverbeitragt wurden?

Wird es für sie eine Entschädigung geben?

Verspricht der Kanzler viel, aber hält es dann eh nicht ein?

Hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach gerade nicht andere Sorgen?

Oder steht Finanzminister Christian Lindner auf der Bremse?

Denn das würde ja Beitragsmittel kosten oder eben einen höheren Steuerzuschuss in die Krankenversicherung.

 

Wir wissen es nicht, aber, liebe Freundinnen und Freunde,

wir müssen jetzt intensiv weiter bohren!

Weiter dicke Bretter bohren und zwar realistisch und radikal.

Ich sage Ihnen:

Wir brauchen radikale Forderungen und wir brauchen realistische Forderungen.

Die kann ich dann ins Parlament tragen.

Und Sie, meine Damen und Herren und alle Direktversicherungsgeschädigten müssen sie dann laut stark vertreten.

Dann haben wir Chancen, dass sich etwas ändert.

 

Für mich ist völlig klar:

Ohne Euch, ohne Sie wird DIE LINKE im Bundestag nichts erreichen können.

Ohne Sie, meine Damen und Herren, ohne Euch, liebe Direktversicherungsgeschädigten, ist der Kampf gegen den Rentenklau nichts.

Lautstark Demonstrieren, Briefe und E-Mails schreiben und den lokalen Abgeordneten der Ampel damit immer wieder auf die Nerven gehen!

Das war und das ist der richtige Weg!

 

Schauen wir nach Frankreich!

Dort demonstrieren immer mehr junge Menschen gegen das Arbeiten bis zum Umfallen.

Zwölf mal in den vergangenen drei Monaten.

Und jedes Mal waren rund eine Million Menschen auf der Straße.

Mal mehr, mal weniger.

Und das brauchen wir auch bei uns.

Gewaltfrei, von beiden Seiten!

Demonstrationen von alten, mittelalten und jungen Menschen für eine gute Rente!

Gegen jeden Rentenklau und für gute Betriebsrenten!

Und ich sage es jetzt mal klipp und klar und ich übertreibe nicht:

Ihr wart die größte und auch die erfolgreichste Rentenbewegung, die es in den vergangenen elf Jahren gab.

Ihr habt einen Freibetrag erkämpft, den es vorher nicht gab.

169,75 Euro Betriebsrente bleiben völlig beitragsfrei!

Das klingt vielleicht mickrig und ich weiß, dass Manche von Ihnen sagen: Das bringt uns nix.

Aber es bringt was!

Es bringt 1,2 Milliarden Euro mehr an Rente jedes Jahr für Euch und für die Betriebsrenten und Direktversicherungszahlungen an Eure Kinder!

Laut Ministerium.

Bei einem monatlichen Rentenzahlbetrag von 340 Euro zahlt man nun nur noch die Hälfte und je mehr die Beiträge zur Krankenversicherung steigen, desto größer wird die Entlastung werden.

Aktuell zahlt Ihr 27,50 Euro im Monat weniger und das macht in 20 Jahren schnell mal 6600 Euro aus (14,6+1,6KV).

Das ist ein sehr kleines Auto oder ein sehr schicker Urlaub!

Und das ist nicht Nichts!

Aber das habt Ihr, das haben Sie und ich im Bundestag gemeinsam erreicht.

 

Meine Damen und Herren,

20 Prozent Ihres Problems sind damit gelöst.

Das ist gut, aber das reicht beileibe nicht aus!

Dafür müssen wir heute nicht mehr demonstrieren!

Wir müssen uns jetzt auf mehr einigen!

Und darum habe ich an Sie alle nun eine höfliche Bitte:

Ich bitte alle diejenigen, ihren linken Arm zu heben, die weniger als 169,75 Euro Direktversicherung im Monat haben.

Also: Wer hat eine Betriebsrente unter dem Freibetrag?

Danke sehr.

Und wer hat zwischen 170 und 350 Euro?

Danke schön.

(Spontane Bewertung).

Und alle guten Dinge sind drei und darum ist meine dritte Frage:

Wer hat denn eine Kapitalauszahlung?

Das ist nämlich, neben vielem anderen, der größte Skandal!

Wieso wird da auf 120 Monate, also zehn Jahre, heruntergerechnet?

Warum nicht auf 20 Jahre?

Das ist doch viel realistischer!

Es ist viel gerechter und es ist dringend notwendig, dass hier etwas geändert wird!

Das ist realistisch und radikal!

 

Ich weiß, viele von Euch und Ihnen sagen zu Recht:

Ich will jeden Cent, den ich zu viel bezahlt habe, zurück.

Aber das will ich heute auch sagen:

Das ist radikal und das ist sehr verständlich, aber es ist leider nicht realistisch.

 

Und deshalb schlage ich Euch heute vor, dass DIE LINKE für Sie folgende Forderungen in den Bundestag einbringen wird:

Das erste Problem: Wir brauchen Geld.

Die Kranken- und Pflegeversicherung ist chronisch unterfinanziert.

Im Unterschied zur gesetzlichen Rente übrigens.

Das wird auch die erste Ausrede sein, die Ihr immer wieder zu hören bekommen werdet!

Es sei kein Geld da!

Das ist völliger Quatsch.

Aber es ist richtig: Wir brauchen einen Gegenfinanzierungsvorschlag. Realistisch und radikal.

Und im Koalitionsvertrag der Ampel steht klipp und klar, versicherungsfremde Leistungen sind aus Steuermitteln zu tragen.

In der Pflege sind das zum Beispiel die Rentenbeiträge für pflegende Angehörige, in der Krankenversicherung eine höhere Übernahme der Beiträge der Arbeitslosengeld-II-Empfänger. 

Letzteres brächte schon allein zehn Milliarden Euro jährlich.

Zehn Milliarden!

 

Meine Damen und Herren, wir sind lösungsorientiert!

Und wir fordern die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze in der Krankenversicherung auf die der Rentenversicherung. Das wäre sozial gerecht.

Geld wäre also genug da!

Aber das steht heute nicht im Zentrum.

Das sage ich nur, um dem Christian Lindner und dem Karl Lauterbach den Wind aus den Segeln zu nehmen, wenn die wieder sagen: Sorry, kein Geld da.

 

Nun zu meinen sechs Forderungen:

1. Wir müssen jetzt endlich klipp und klar ins Gesetz schreiben, was eine gute und was ein echte Betriebsrente ist.

Und da sage ich:  Da müssen sich die Chefs und die Chefinnen mit 50 Prozent oder mehr an den Gesamtkosten während der Einzahlungsphase dran beteiligen.

Das muss Paragraph 1 werden!

Denn sonst ist das irgendwas mit Vorsorge, aber verdient den Namen AltersVERsorgung nicht!

 

2. Weg mit dieser bescheuerten Entgeltumwandlung!

Wir fordern die volle Verbeitragung in der Ansparphase und die völlige Beitragsfreiheit in der Auszahlungsphase.

Aber all das bringt Euch nichts mehr.

 

Und deshalb sage ich drittens klipp und klar und ohne Wenn und Aber:

3. Auf Direktversicherungen, die vor dem Jahr 2004 abgeschlossen wurden, darf ab dem 1. Januar 2024 gar kein Beitrag mehr erhoben werden.

Ihr habt genug geblecht!

               

4. Betriebsrentnerinnen und -rentner und Direktversicherte mit Renten oberhalb des Freibetrags sollten grundsätzlich nur den halben Beitragssatz zahlen müssen.

5. Der Freibetrag muss auch für die Pflegeversicherung gelten.

6. Und sechstens und Letztens:  Die Krankenkassenbeiträge für Kapitalauszahlungen sollten auf 20 Jahre, also auf 240 Monate gestreckt werden.

               

Das wäre mein Programm und das der LINKEN im Bundestag.

Ich weiß:

Ohne Euren Druck wird das nichts.

Darum lasst bitte nicht locker.

Kämpft weiter bis Euch niemand mehr die Rente klaut.

Danke schön!