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Matthias W. Birkwald

Nach links zur Freiheit!

Liberalismus, wie er sein könnte – zum Hundertsten der »Jungdemokraten« war auch Matthias W. Birkwald gefragt

19.06.2019
Martin Finkenberger (neues deutschland)

Als Günther Verheugen, heute vor allem als sozialdemokratischer
Außenpolitiker und Vizepräsident der EU-Kommission in Erinnerung, seine ersten politischen Schritte unternahm, hatte er ein irritierendes Erlebnis.

Als junges Mitglied der Deutschen Jungde-mokraten, damals die Jugendorganisation der FDP, geriet er 1961 in Detmold auf eine Sonnenwendfeier, wie sie nationalistischen Schwarmgeistern schmeckt: Ein Fackelmarsch führte zum mythenumrankten Hermannsdenkmal im Teutoburger Wald, einem Erinnerungsort radikaler Rechter.

Erich Mende, Bundesvorsitzender der Partei und Träger seines Ritterkreuzes aus Wehrmachtszeiten, hielt eine markige Rede gegen jeden Versuch, nach 1945 geschaffene Grenzen anzuerkennen und die Beziehun-
gen zu den Staaten des Ostblocks auf eine neue Grundlage zu stellen.

Die FDP war in dieser Zeit ein Sammelbecken auch für nationalistische Kreise.

Bundestreffen ihrer Jugendorganisation hatten, so ein Beschluss, nahe der »Zonengrenze« oder in Berlin stattzufinden. So gespenstisch die  Veranstaltung auf Verheugen wirkte, so folgenreich sollte sie für die po-
litische Zukunft des 17-Jährigen sein. Im Anschluss nämlich meldete sich ein junger Anwalt aus Köln und konnte ihn überzeugen, dass längst nicht alle Mitglieder der Partei in der Gedankenwelt Mendes lebten.

Gerhart Baum hieß der angehende FDP-Politiker, in der sozialliberalen Koalition Ära der Bundesrepublik zeitweise Innenminister und bis heute profilierter Linksliberaler.

Mit Verheugen und anderen machte er sich damals zum langen Marsch durch die FDP auf. An dessen Ende stand die Partei dann an der Seite Willy Brandts und wurde zu einer Säule der sozialliberalen Reform- und Entspannungspolitik.

Von der FDP zu Grünen und PDS

An diese Geschichte wurde jüngst auf einer
Veranstaltung erinnert, zu der 120 frühere Aktivisten der Deutschen Jungdemokraten nach Bonn gekommen waren. Was die Veranstalter um Verbandsurgestein Roland Appel als »Generationentreffen« angekündigt hatten, war indes eher eine Veteranenversammlung jener linksliberalen Strömung, die einige Jahre in der FDP und bei deren Nachwuchs den Ton angab.

»Die Auffassung, dass Liberalismus und Privateigentum an Produktionsmitteln in jedem Fall identisch sind, gehört zu den Grundirrtü- mern der jüngsten Geschichte«, stand damals auf FDP-Plakaten. Ihr Jugendverband forderte »Kein Knast für Hasch«.

Nach dem Bruch der sozialliberalen Koalition 1982 verliefen sich dessen Vertreter in verschiedenste Richtungen. Während Ver-heugen in der SPD zu einer zweiten Karriere antrat, fand sich Appel, kurz vorher Vorsitzender der FDP-Studierendenorganisation, bei den Grünen wieder.

Als diese 1995 in Nordrhein-Westfalen mit der SPD koalierten, war er einige Jahre Ko-Chef der Landtagsfraktion. Als »Regierungslinker« sollte er die Basis, die den Roten nicht recht traute, auf Kurs halten.

Einige wenige versuchten sich erfolglos in linksliberalen Parteigrün-
dungen.

Andere, wie Matthias W. Birkwald, einst Jugendbildungsreferent des Verbandes und heute im Bundestag, landeten bei der PDS und später der Linkspartei.


Obgleich die Deutschen Jungdemokraten sich nach ihrer Lösung von der FDP keiner Partei mehr verpflichtet fühlten, galten sie lange als inoffizielle Jugendorganisation der Grünen.

In der Tat betrachtete man diese Partei lange als parlamentarischen An- sprechpartner. Dies änderte sich 1992 durch die Vereinigung mit der Marxistischen Jugendvereinigung Junge Linke (MJV), die im
Osten nach dem Zerfall der FDJ entstanden war.

Der unter dem Namen Jungdemokraten/ Junge Linke (JD/ JL) fusionierte Verband orientierte sich vor allem in den Neuen Ländern stark an der PDS, die dort nach FDP und Grünen zur dritten Mutterpartei wurde.

Prominentes Beispiel für diese Verbindung ist etwa der Thüringer Staatskanzleichef Benjamin-Immanuel Hoff, der 1992 den JD/ JL und später der PDS beigetreten war.

Die Geschichte der Jungdemokraten zeigt im Kleinen einen alternativen politischen Liberalismus, der auf der großen Bühne der deutschen Geschichte aber immer wieder abgewürgt wurde. In der Weimarer Republik
hatte sich der 1919 gegründete Verband im Umfeld der Deutschen Demokratischen Partei bewegt und sich gegen deren Rechtsdrall gestemmt, der 1930 in der Fusion mit dem nationalliberalen Jungdeutschen Orden zur Deutschen Staatspartei gipfelte – und als Alternative die dann unbedeutende Radikaldemokratische Partei gegründet.

Auch in der Bundesrepublik suchte man die Freiheit auf der linken Seite, nachdem die FDP den Sozialliberalismus jäh verabschiedet hatte – so entschieden, dass seit den 1990er Jahren auch die Kontroversen der marginalen radikalen Linken in die Organisation hineinzuwirken begannen.

Ein Spagat zwischen ideologiekritischer Theoriediskussion im Stil der sogenannten Antideutschen sowie einem kampagnenorientierten Aktionismus – etwa gegen die faktische Abschaffung des Asylrechts– führte zu lähmenden Flügelkämpfen, Spaltungen und rückläufigen Mitgliederzahlen.

Letzteres auch, weil angesichts dessen ab 2005 der Gründungsprozess der Linkspartei als um so attraktiveres Projekt erschien.

Dass der Verband dennoch erstaunlich lange organisatorische Strukturen aufrechterhielt, war den öffentlichen Mitteln zu danken, die er über den Ring Politischer Jugend (RPJ) und das Jugendministerium erhielt.

Allerdings fehlte es nicht an Versuchen, dem Verband diese Grundlage zu entziehen – etwa 1994 durch die damalige Ministerin Angela Merkel. Ihre Mitarbeiter wollten festgestellt haben, die »agitatorische« Verbands-
zeitung stelle »die verfassungsmäßige Grundordnung der Bundesrepublik in Frage«.

Ausgerechnet dem Innenminister der rot-grünen Regierung seit 1998, Otto Schily, dessen Mitarbeiter Appel einst gewesen war, blieb es vorbehalten, die Organisation als »ständigen Partner von Linksextremisten«im
Verfassungsschutzbericht zu denunzieren.

Dass es Mitgliedern der Organisation kurz zuvor durch eine spektakuläre Aktion gelungen war, ein öffentliches Gelöbnis der Bundeswehr zu einer Lachnummer zu machen, dürfte dabei eine Rolle gespielt haben.

Zukunft an Freitagen

Diese, wie Appel sich heute noch empört, »Diffamierung«musste schon im Jahr darauf zurückgenommen werden. Es war dann die Jugendorganisation der früheren PDS, die indirekt dafür sorgte, dass die Jungdemokraten ihre öffentliche Förderung weitgehend verloren: Eine Klage gegen die Vertei- lung der RPJ-Mittel hatte zur Folge, diese verkappte Form der Parteienfinanzierung grundsätzlich in Frage zu stellen.

Heute fristet der Verband denn auch ein eher virtuelles Dasein im Internet. Der Berliner Ableger lässt auf Anfrage ausrichten, er arbeite »als lokaler Jugendverband unabhängig vom Bundesverband« und betreibe »politische Bildungsarbeit«. Aktuelle Seminare finden sich aber nicht. In Hessen datiert der letzte Termin von 2009.

Mit Altvorderen wie Roland Appel haben jene, die heute den Namen reklamieren, nichts zu tun. Als Vertreter der jüngst durch den Klimawandel politisierten Jugendlichen hatten die Veranstalter des Bonner Treffens stattdessen einen örtlichen Vertreter von »Fridaysfor Future«eingeladen: LucasStamlidis ist 19 Jahre alt, studiert Politikwissenschaft und spult das Pressesprechervokabular – »Meilensteine«, »Feedbackrunden«– so
routiniert ab, dass Nachfragen ihn nicht irritieren: Wo der Strom herkommt, wenn bereits Ende dieses Jahres 25 Prozent der Kohlekraftwerke abgeschaltet würden, ist ein dann doch kompliziertes Detail.

Dafür gibt es die Information, dass zum internationalen Klimastreiktag, der am 21. Juni in Aachen stattfindet, der Astrophysiker Harald Lesch und die Band Culcha Candela bereits zugesagt haben.

Roland Appel, der sich noch immer als»liberaler und radikaldemokratischer Bürgerrechtler« bezeichnet, bleibt dennoch optimistisch. »Dein Appell hat mich ermutigt, weiterzumachen und euch zu unterstützen«, sagt er Stamlidis.

Dass er das keineswegs nur gönnerhaft meint, zeigt seine jüngste Initia-
tive. Mit anderen Ex-Jungdemokraten hat er eine »Radikaldemokratische Stiftung« gegründet. Sie soll Geld sammeln, um nicht nur weitere Veteranentreffs zu finanzieren, sondern auch »jungen Aktivisten« unter die Arme zu greifen. Wie dabei »Radikaldemokratie« zu verstehen ist, zeigt die Weise, in der man um Spenden wirbt: Wer als Fördermitglied monatlich mindestens 200 Euro gibt, darf sich mit dem Titel »Überwinder/ in des Kapitalismus«schmücken.

Die Geschichte der Jungdemokraten zeigt im Kleinen einen alternativen politischen Liberalismus, der auf der großen Bühne der deutschen Geschichte aber immer wieder abgewürgt wurde. 

Der Artikel erschien am 14./15. Juli 2019 im neuen deutschland und ist hier auch zu downloaden.


Anlässlich des hundertsten Jubiläums des Verbandes ist jüngst ein voluminöser Sammelband erschienen:

Roland Appel/ Michael Kleff (Hg.): Grundrechte verwirklichen – Freiheit erkämpfen. 100 Jahre Jungdemokrat*innen. Ein Lesebuch über linksliberale und radikaldemokratische Politik von Weimar bis ins 21. Jahrhundert.

Academia-Verlag 2019, 964 Seiten, gebunden, 98 €.