DIE LINKE im Bundestag
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Matthias W. Birkwald

Rentenrechtliche Anrechnung von Mutterschutzzeiten

05.03.2015

Rede von Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) Tagesordnungspunkt 12, 05.03.2015

Erste Beratung des von DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – Anrechnung von Zeiten des Mutterschutzes - Drucksache 18/4107

Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kolle­gen!

Die Rente ab 63 war von Anfang an eine Mogelpackung. Warum? Erstens, weil die Rente ab 63 für die nach 1964 Geborenen nur eine Rente ab 65 sein wird, und zweitens, weil Menschen bestraft werden, die längere Zeit nicht arbeiten durften; denn Hartz-IV-Zeiten zählen nicht zur Wartezeit. Für die Linke ist und bleibt das skandalös.

(Beifall bei der LINKEN)

Drittens war und ist die Rente ab 63 bzw. 65 eine Mogelpackung, weil auch Arbeitslo­sengeld-I-Zeiten in den letzten beiden Jahren vor Rentenbeginn nicht zu den Jahren Wartezeit zählen; 45 Jahre, die nötig sind, um die abschlagsfreie Rente ab 63 Jahren überhaupt beantragen zu können. Aber es bleibt die Hoffnung, dass Sie mit diesem irrsinnigen sogenannten rollierenden Stichtag am Bundesverfassungsgericht scheitern werden. Der DGB jedenfalls bereitet gerade entsprechende Klagen vor. Dafür wünscht die Linke den Betroffenen und dem DGB viel Erfolg.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun zur Gerechtigkeitslücke, mit der Ihr Gesetz ausgerechnet Mütter diskriminiert – Mütter, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU/CDU, Herr Kollege Straubinger. Ich frage Sie: Was sagen wir denn der Mutter, die sich mit einer Petition an den Bundestag wandte und uns sinngemäß sagte:

(Max Straubinger [CDU/CSU]: Wir haben die

Mütterrente geschaffen, und Sie haben dagegen

gestimmt!)

„Ich sehe die lange Liste, was alles als Beitragszeit angerechnet wird, aber mir fehlen genau vier Wochen“? Es zählen Zeiten mit Pflichtbeiträgen aus Erwerbstätigkeit und aus selbstständiger Tätigkeit. Es zählen Zeiten des Wehr- und Zivildienstes, die Zeit der Pflege von Angehörigen, Krankengeldzeiten, Übergangsgeldzeiten, Kurzarbeitergeld-, Schlechtwettergeld- und Winterausfallgeldzeiten, Insolvenzgeldzeiten. Es zählen Zeiten der Kindererziehung bis zum zehnten Lebensjahr des Kindes. Aber ausgerechnet vier der sechs Wochen, die ich als werdende Mutter vor der Geburt meines Kindes im Mutterschutz war, zählen nicht zur Wartezeit für meine Rente ab 63, kritisiert die Peten­tin. Bei zwei Kindern macht das zwei Monate usw.

(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]:

Nein, das kann es gar nicht geben!)

Diesen Zustand wollen wir mit unserem Gesetzentwurf beenden.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Zeiten des Beschäftigungsverbotes nach dem Mutterschutzgesetz

(Max Straubinger [CDU/CSU]: Beschäftigungsverbote

gibt es gar nicht!)

sind bei der Anrechnung auf die Wartezeit von 45 Jahren voll und ganz zu berücksichti­gen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, wollen Sie sonst Ihren Müttern und den Müttern in Ihren Wahlkreisen Folgendes erklären

(Max Straubinger [CDU/CSU]: Wir tun etwas

für sie, Herr Kollege Birkwald!)

– hören Sie doch erst einmal zu, Kollege Straubinger –: Einem Mann, der sich beim Skifahren in den schönen Bayerischen Alpen das Bein bricht, wird die Krankengeldzeit

auf die 45 Beitragsjahre angerechnet. Einer Frau, die wegen der bevorstehenden Geburt ihres Kindes zu Hause bleibt, werden die vier Wochen Mutterschutz nicht angerechnet. Ich sage: Das ist ungerecht, mütterfeindlich, frauendiskriminierend, und das können Sie niemandem, wirklich niemandem plausibel erklären.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, in Artikel 3 unseres Grundgesetzes heißt es: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Niemand dürfe wegen seines Geschlechtes benachteiligt werden. – Das ist aber hier eindeutig der Fall. Männer können nun einmal keine Kinder bekommen – bisher jedenfalls nicht. Nur Frauen kann es passieren, dass der Mutterschutz nicht angerechnet wird und sie darum möglicherweise nicht in die Rente ab 63 gehen können. Das verstößt gegen das Gleichheitsgebot des Grundgesetzes. Darum muss das Rentenpaket hier dringend zugunsten der Mütter geändert werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Liebe Bundesregierung, wie ernst nehmen Sie eigentlich Ihre eigenen Aussagen, Frau Staatssekretärin Kramme? Denn auf die entsprechende Petition hatte das Ministerium am 11. August 2014 geantwortet: Schwierig, schwierig, aber die Bundesregierung werde prüfen, ob eine Änderung des geltenden Rechtes unter Wahrung des Versicherungs­prinzips möglich sei. – Ich nahm die Petition und die Antwort der Bundesregierung ernst. Ich hatte gedacht: Okay, lassen wir das Ministerium einen Monat oder zwei Monate prüfen.

Dann habe ich nachgehakt. Am 14. Oktober 2014 erhielt ich von Frau Staatssekretärin Lösekrug-Möller folgende Antwort – ich zitiere –:

Der Regelungsintention widerspricht es, beitragsfreie Zeiten auf die 45-jährige Wartezeit anzurechnen. Wegen des engen Zusammenhangs von Mutterschutz und Kindererziehung wird die Bundesregierung dennoch prüfen, ob eine Änderung des geltenden Rechts angezeigt sei.

Das war im Oktober 2014, vor mehr als vier Monaten. Ich finde, das ist Zeit genug zum Prüfen. Wir sind nun alle sehr gespannt, was Sie uns gleich als Ergebnis Ihrer intensiven Prüfung kundtun werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich befürchte allerdings, dass Sie immer noch prüfen und prüfen und prüfen.

Meine Damen und Herren von der Regierungsbank und den Koalitionsfraktionen, Sie haben es echt gut. Warum? Sie haben eine Opposition, die nicht nur meckert und Sie kritisiert. Im Interesse der älteren Mütter helfen wir Linken Ihnen gerne und legen Ihnen heute einen kurzen, präzisen und einfachen Gesetzentwurf vor.

(Dr. Matthias Bartke [SPD]: Danke!)

Mit diesem Gesetzentwurf kann die frauenfeindliche Ungerechtigkeit bei der Rente ab 63 bzw. 65 sofort beseitigt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, die Zahl der betroffenen Mütter ist überschaubar. Darum sind auch die finanziellen Kosten für ein Stück mehr soziale

Gerechtigkeit übersichtlich: ein Grund weniger, weiter zu prüfen, und ein Grund mehr, zu handeln. Ich fordere Sie auf: Beseitigen Sie diese offenkundige Gerechtigkeitslücke, und rechnen Sie den Mutterschutz auf die Wartezeit an! Das ist doch nicht zu viel verlangt, und die betroffenen Mütter werden es Ihnen danken.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)

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Anschließende Kurzintervention während der Rede von MdB Peter Weiß (CDU/CSU)

Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):

Vielen Dank, Frau Präsidentin, vielen Dank, Herr Kollege Weiß.

Wenn das alles so wäre, wie Sie sagen, dann gäbe es keinen Grund, dass es a) eine Petition dazu gibt und b) das Ministerium darauf antwortet. Ich habe hier noch eine, die die schöne Nummer 51802 hat. Sie ist relativ kurz. Heute rief in meinem Büro eine Kollegin vom Deutschlandfunk an und bezog sich auf diese Gerechtigkeitslücke. Es gibt sie also sehr wohl.

Ich habe eben in meiner Rede gesagt, dass es nicht viele Fälle gibt und dass deshalb auch der Finanzbedarf nicht so groß ist. Hier geht es aber um das Prinzip. Es ist richtig, was Sie gesagt haben: In dem Monat, in dem das Kind geboren wird, gilt der Schutz schon; aber in dem Zeitraum davor nicht. Das sind bis zu vier Wochen. Vermutlich werden es nicht so viele Fälle sein. Die Erfahrung können wir noch gar nicht haben, weil das Gesetz erst seit kurzem gilt. Wir wissen aber, dass es bisher 232 000 Anträge gibt, 77 333 ungefähr von Frauen. Die Mütter müssen Sie aus diesen herausfiltern. Diese Zahl kann das Ministerium bisher gar nicht vorlegen.

Regeln Sie diese Zeit. Fügen Sie in den § 51 Absatz 3 a SGB VI die entsprechende Passage ein. Es kostet Sie nicht viel, außer ein bisschen Goodwill. Dann kann keiner Mutter mehr etwas passieren.

(Beifall bei der LINKEN)