Wir brauchen einen Haushalt des sozialen Ausgleichs!

25.06.2014

Rede von Matthias W. Birkwald zur abschließenden Beratung des Bundeshaushalts 2014, Einzelplan 11, Arbeit und Soziales, am Mittwoch, 26. Juni 2014 im Deutschen Bundestag

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

Die Bundesrepublik ist eines der reichsten Länder der Welt. Davon spüren aber Millionen von Menschen nichts. Sicher, vielen Menschen geht es gut. Es gibt 1,1 Millionen Dollar-Millionäre in Deutschland. Mit anderen Worten: Die soziale Spaltung nimmt zu.

Nach aktuellen Zahlen des Deutschen Institutes für Wirtschaftsforschung verfügen knapp 28 Prozent der Erwachsenen hierzulande über kein oder nur über ein negatives Vermögen. So heißt das in der kalten Sprache der Wirtschaftsforscher. Auf Deutsch heißt das: Ein Drittel der Menschen in unserem Land hat nur Nullen oder Schulden auf dem Konto, und es gibt 10 Millionen Arme. Das, meine Damen und Herren, ist die Realität. Darum brauchen wir dringend eine Umverteilung von oben nach unten.

(Beifall bei der LINKEN)

Schlägt sich das im Haushalt der Arbeits- und ‑ ich betone ‑ der Sozialministerin irgendwie nieder? Nein, tut es nicht. Frau Ministerin Nahles, Sie fügen sich dem Mantra von Finanzminister Schäuble. Der ruft fünfmal am Tag: Keine Steuererhöhung, keine neuen Schulden! ‑

(Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU): Richtig!)

Das bedeutet: CDU/CSU und SPD ignorieren die soziale Spaltung. Das darf nicht so bleiben. Wir brauchen einen Haushalt des sozialen Ausgleichs, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Deshalb fordert die Linke hier und heute:

Erstens. Der Regelsatz für Hartz-IV-Beziehende muss endlich auf 500 Euro im Monat angehoben werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Zweitens. Für die Grundsicherung im Alter brauchen wir für arme Seniorinnen und Senioren ebenfalls menschenwürdige Regelsätze.

(Beifall bei der LINKEN)

Drittens. Hartz-IV-Betroffene und ihre Kinder sind auf jeden Cent angewiesen. Darum darf das Elterngeld nicht mehr auf das Arbeitslosengeld II angerechnet werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Viertens. Lassen Sie die Rentnerinnen und Rentner im Osten nicht länger im Regen stehen und gleichen Sie endlich den Rentenwert Ost an das Westniveau an. Ein Vierteljahrhundert nach der Einheit müssen 45 Jahre Arbeit als Verkäuferin oder als Kfz-Mechatroniker ‑ völlig egal, ob man in Halle an der Saale oder in Halle in Westfalen wohnt ‑ auch die gleiche Rente bringen.

Fünftens. Menschen mit Behinderungen haben das gleiche Recht auf Arbeit, auf Mobilität, auf Bildung, auf Theater, auf Reisen und vieles andere wie Menschen ohne Behinderungen. Darum, meine Damen und Herren von der Koalition, fordere ich Sie auf: Sagen Sie nicht sofort, das Bundesteilhabegesetz dürfe aber nicht so viel kosten, sondern diskutieren Sie mit den Menschen mit Behinderungen darüber, was inhaltlich im Gesetz stehen muss,

(Dr. Martin Rosemann (SPD): Das machen wir doch!)

damit allen Menschen mit Behinderungen die volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft garantiert werden kann, bedarfsgerecht und unabhängig von Einkommen und Vermögen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Ralf Kapschack (SPD): Genau das machen wir!)

Frau Ministerin Nahles, legen Sie schnell erste Eckpunkte und einen Fahrplan vor, wie die Expertinnen und Experten in eigener Sache an der Erarbeitung des Bundesteilhabegesetzes aktiv beteiligt werden sollen. Die Menschen mit Behinderungen werden es Ihnen danken und wir auch.

(Beifall bei der LINKEN)

Sechstens. Frau Nahles, angesichts des weltweiten Flüchtlingselends sage ich: Fassen Sie sich ein Herz, und sorgen Sie dafür, dass die in Deutschland asylsuchenden Menschen, die Geduldeten und die Bürgerkriegsflüchtlinge, beispielsweise aus Syrien, endlich dieselben Grundsicherungsleistungen erhalten wie alle anderen, die zwischen Rostock und Berchtesgaden auf Hartz IV oder auf Sozialhilfe angewiesen sind.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich ahnte schon: Für diese Forderung nach mehr sozialer Gerechtigkeit rührt sich bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und CDU/CSU, keine Hand. Deshalb, Frau Ministerin Nahles, sage ich: Ihr Haushalt ist kein Haushalt des sozialen Ausgleichs. Ihr Haushalt ist ein Haushalt der Tricksereien. Das ist durch und durch schlecht.

(Beifall bei der LINKEN - Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU): Tricksereien! Ich glaube es ja nicht!)

- Warum Tricksereien, Frau Weiss? Ich sage es Ihnen. Die sogenannte Mütterrente kostet mehr als 6,5 Milliarden Euro jährlich. Aber, Wunder, oh Wunder, davon taucht nichts in Ihrem Haushalt auf, auch in den nächsten vier Jahren nicht. Danach soll es dann ein paar Euro mehr aus dem Steuersäckel geben, aber bis dahin werden die Beiträge der Rentenversicherten für die Mütterrente verfrühstückt, wie es Gregor Gysi heute Morgen hier erläutert hat. Alles gegen jede Vernunft! Das ist getrickst, das ist falsch, und das ist ungerecht.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU): Und sozial gerecht!)

Das Rentenniveau sinkt immer weiter, durch das Rentenpaket noch mehr als bisher. Das ist sozial ungerecht. Mit Lebensversicherung und Riester-Rente können die allermeisten Menschen die Löcher in ihrer gesetzlichen Rente nicht stopfen. Bei den Lebensversicherungen wollen sie die Auszahlungen jetzt auch noch kürzen und die Garantiezinsen von mickrigen 1,75 Prozent auf noch mickrigere 1,25 Prozent absenken. Das heißt, 62 Millionen Lebensversicherte zahlen für die Krise, die sie nicht verursacht haben. Das ist die Wahrheit.

Das zeigt: Die gesetzliche Rentenversicherung muss gestärkt werden. Sie ist viel besser als Riester und Co. Aber Sie pumpen in diese Riester-Verträge in diesem Jahr noch einmal 3,5 Milliarden Euro Steuermittel. Das heißt, bis 2018 werden knapp 44 Milliarden Euro geflossen sein. Dazu sage ich: Das ist eine Verschwendung von Steuermitteln gepaart mit Realitätsverweigerung, sonst nichts.

(Beifall bei der LINKEN)

Warum rede ich jetzt von 2018? Schauen Sie einmal in Ihren Haushaltsplan. Dort stehen nämlich diesen Milliardensummen an Riester-Förderung im Jahr 2018 gerade einmal 49 Millionen für Ihr nächstes Pseudobollwerk gegen Altersarmut, die Lebensleistungsrente, gegenüber. 49 Millionen Euro, um Minirenten aufzustocken, und 3,5 Milliarden Euro, um gefloppte Riester-Verträge zu retten - 70-mal mehr für Unsinn als gegen Altersarmut, das ist echt nicht zu fassen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dabei rechnen Sie selbst im Haushalt mit einem jährlichen Anstieg der Zahl der Grundsicherungsbeziehenden im Alter und bei Erwerbsminderung von jährlich 6,6 Prozent. Im Jahr 2018 werden nach Ihren eigenen Zahlen also knapp 1,3 Millionen ältere und kranke Menschen am Rande des Existenzminimums leben. Das muss unbedingt verhindert werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich komme zum Schluss. Aus den genannten Gründen fordert die Linke eine solidarische Mindestrente, die ihren Namen verdient. Niemand soll von weniger als 1 050 Euro monatlich leben müssen. Deshalb, Frau Nahles, will die Linke Steuererhöhungen für Menschen mit hohen Einkommen und Vermögen. Dann hätten wir 52 Milliarden Euro mehr im Steuertopf, also deutlich mehr als die 34 Milliarden Euro. Dann könnte man endlich aus dem Haushalt des Ministeriums für Arbeit und Soziales einen Haushalt des sozialen Ausgleichs machen.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von der CDU/CSU: Freibier für alle!)

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