"Setzen, sechs"!

"Wir müssen die Altersarmut nicht abmildern, wir müssen sie bekämpfen!" fordert Matthias W. Birkwald im Plenum des Deutschen Bundestages und entlarvt die AfD-Rentenpolitik als unsozial.

15.05.2020
Redebeitrag von Matthias W. Birkwald (Die Linke) am 14.05.2020 um 17:12 Uhr (160. Sitzung, TOP ZP 15)

Mit der Mehrheit aller übrigen Fraktionen hat der Bundestag am Donnerstag, 14. Mai 2020, einen Antrag der AfD mit dem Titel „Sofortmaßnahme Armutsbekämpfung bei Rentnern“ (19/7724[1]) abgelehnt. Der Abstimmung lag eine Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zugrunde (19/10033[2] Buchstabe a).

Für die Fraktion DIE LINKE. sprach den Rentenexperte Matthias W. Birkwald, dessen Rede hier nachlesbar und ansehbar ist. 

Die gesamte Debatte finden Sie hier[3].

Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren Abgeordnete von der AfD!

Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für Sie. Die gute Nachricht: Wir werden Ihren Antrag nicht deshalb ablehnen, weil er von der AfD kommt.

(Enrico Komning (AfD): Oh!)

Die schlechte Nachricht für Sie: Ich nehme Ihren Antrag ernst.

(Enrico Komning (AfD): Das ist gut!)

Fangen wir gleich mal an. Die Überschrift lautet: „Sofortmaßnahme Armutsbekämpfung bei Rentnern“. Also, erstens wissen wir alle hier in diesem Haus, dass vor allen Dingen Frauen von Altersarmut besonders betroffen sind.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN - Ulrike Schielke-Ziesing (AfD): Die gehören nicht gegendert!)

Egal wie hoch der Gender Pension Gap angegeben wird: Frauen sind zu zwei Dritteln diejenigen in Altersarmut, und deswegen müssen wir in erster Linie was gegen die Altersarmut von Frauen tun. Die kommen bei Ihnen aber gar nicht vor.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Es ist aber noch schlimmer.

Bei Altersarmut geht es um alle Menschen ab 65 Jahren, die arm sind, also auch um Seniorinnen und Senioren. Die finde ich in dem Antrag nicht. Sie beschränken sich auf Rentner. 27 Prozent der Menschen in der Grundsicherung hatten aber nie eine Rente. Das ist schon der zweite Punkt. Dazu sagte der Sachverständige Professor Werding in der Anhörung zu Ihnen: „Im Grunde geht es bei Ihnen“ - der AfD - „nicht um Altersarmut, sondern um die Armut von Rentnern.“

Das, meine Damen und Herren, ist deutlich zu dünne Suppe.

(Beifall bei der LINKEN)

In Ihrem Antrag steht, es seien 620 000 Betroffene, die in Altersarmut sind; Pascal Kober hat ebenso verharmlosende Zahlen genannt.

In Wirklichkeit sind 18,2 Prozent aller Menschen ab 65 nach den EU-Kriterien arm. 1,7 Millionen Frauen und 1,3 Millionen Männer haben im Monat weniger als 1 136 Euro zum Leben.

Das ist Altersarmut - nicht die 814 Euro, von denen hier immer die Rede ist.

Dann nehme ich mir mal Ihren wunderbaren Satz auf Seite 2 vor. Zitat:

Eine wesentliche Erhöhung der niedrigen Bestandsrenten, sei es durch eine Erhöhung des Rentenniveaus, sei es durch andere Aufwertungs-maßnahmen, ist zumindest nicht zeitnah zu erwarten, so dass sich gegenwärtig zur Abmilderung von Altersarmut ein Handlungsbedarf ergibt.

„Abmilderung von Altersarmut“? Sagen Sie mal, geht’s noch? Auf den Straßen und Plätzen dieser Republik tun Sie so, als wenn Sie die großen Systemfeinde wären, aber hier wollen Sie ein bisschen „Abmilderung“ im Hartz-IV-Rentner-System?

Da sage ich Ihnen nur: Sie sind als Tiger gestartet und als Bettvorleger gelandet. Das reicht vorne und hinten nicht.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Leni Breymaier (SPD))

Nein, wir müssen die Altersarmut nicht abmildern, wir müssen sie bekämpfen, meine Damen und Herren!

(Norbert Kleinwächter (AfD): So steht es bei uns im Antrag: Armutsbekämpfung!)

Dazu gehören gute Tarifverträge, Allgemeinverbindlichkeitserklärungen, ein gesetzlicher Mindestlohn von 12 Euro und natürlich ein Rentenniveau von 53 Prozent als Prävention, als Prophylaxe. Das brauchen wir.

(Beifall bei der LINKEN - Norbert Kleinwächter (AfD): Und wer soll das bezahlen?)

Und: Das Äquivalenzprinzip in der Rentenversicherung hat nichts mit Armutsbekämpfung zu tun. Da geht es um Artikel 1 des Grundgesetzes "Die Würde des Menschen ist unantastbar!".

Das müssen wir einhalten und nicht das Äquivalenzprinzip.

(Lachen des Abg. Norbert Kleinwächter (AfD))

Viel wichtiger wäre, die Abschläge bei den  heutigen und künftigen Erwerbsminderungsrentnerinnen und -rentnern zu streichen.

Was den Freibetrag, dieses Minireförmchen, angeht:

Wenn das durchkommt, was Sie vorschlagen, dann senken Sie das, was morgen bei der sogenannten Grundrente beschlossen werden soll, theoretisch um die Hälfte. Da sage ich im Namen aller armen Rentnerinnen und Rentner: Herzlichen Dank an diese Bundesregierung, wenn sie im Gegensatz zu Ihnen sogar das Doppelte hinkriegt!

(Uwe Schummer (CDU/CSU): So sind wir!)

Setzen, sechs!

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)

Links:

  1. https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/077/1907724.pdf
  2. https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/100/1910033.pdf
  3. http://<script id="tv7446050" src="https://webtv.bundestag.de/player/macros/bttv/hls/player.js?content=7446050&phi=default"></script>