Mindestlohn vom Bundestag beschlossen - warum DIE LINKE sich enthalten hat

03.07.2014
Bundestagsfraktion DIE LINKE.
Foto anl. der Kundgebung „Würde ist unteilbar – gegen Ausnahmen vom Mindestlohn" im Vorfeld der Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am 30.06.2014

DIE LINKE kämpft für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn, von dem man leben kann! Das neue Gesetz garantiert dies nicht. Wir votieren daher mit Enthaltung.

Die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes ist ein zentrales Ereignis und der Lohn für einen jahrelangen gewerkschaftlichen Kampf. Die PDS beantragte bereits 2002 einen gesetzlichen Mindestlohn, DIE LINKE im Bundestag streitet seit 2006 dafür. Dass es nun endlich auch in Deutschland einen gesetzlichen Mindestlohn gibt, ist ein großer Erfolg für die Gewerkschaften und für DIE LINKE!

Aber: SPD und CDU/CSU haben nicht für alle Beschäftigten einen gesetzlichen Mindestlohn garantiert, sondern viele Ausnahmen und Sonderregelungen beschlossen, sodass bis zu 2,5 Millionen Menschen nicht unter seinen Geltungsbereich fallen. Sie werden zu Beschäftigten zweiter Klasse degradiert. Das ist für uns nicht hinnehmbar. Würde ist unteilbar. Jedes Arbeitsverhältnis muss ohne Ausnahme ab 2015 unter den Geltungsbereich des Mindestlohns fallen. Es darf nicht Gruppen oder Branchen geben, denen der Respekt vor ihrer geleisteten Arbeit vorenthalten wird. Sonst verkommt die Einführung des Mindestlohns zu einem Lehrstück für Lobbyismus.

Besonders gravierend ist, dass Gruppen am Arbeitsmarkt der Mindestlohn per se verweigert wird. Dies hat diskriminierenden Charakter und ist daher rechtlich zweifelhaft, wie auch die parlamentarische Anhörung ergab. Nicht unter den Mindestlohn fallen:

- Beschäftigte unter 18 Jahren ohne abgeschlossene Berufsausbildung. Einen solchen kompletten Ausschluss gibt es sonst nirgends in Europa. Bestraft werden durch diese Regelung vor allem mehr als 300.000 unter 18jährige, die einem Minijob oder einer kurzfristigen Beschäftigung nachgehen. Das sind in der Regel Schülerinnen und Schüler, die sich neben der Schule oder in den Ferien etwas hinzuverdienen.

- Langzeiterwerbslose in den ersten sechs Monaten einer neuen Beschäftigung. Das sind potentiell mehr als eine Million Menschen. Auch diese Regelung kennt keine europäischen Vorbilder. Gerade Langzeiterwerbslose werden besonders häufig mit niedrigen Löhnen abgespeist. Die jetzige Regelung bietet Anreiz zur Unterbezahlung und zu Drehtüreffekten. Sie stigmatisiert Langzeiterwerbslose, statt sie zu schützen und zu fördern.

Es gibt Sonderregelungen für folgende Gruppen:

- Zeitungszustellerinnen und -zustellern wurde der Mindestlohn gekürzt. In 2015 kann der Mindestlohn um 25% reduziert werden, in 2016 um 15%. Die erste Anpassung der Höhe erfolgt erst in 2018 – ein Jahr, nachdem der Mindestlohn erstmals erhöht wird. Die Sonderbehandlung des Zustellungsbereichs ist ein Produkt des Lobbyismus. Die Zeitungsverlegerinnen und -verleger verweigerten Tarifverhandlungen und bekommen dafür jetzt eine Sonderregelung, die sich völlig außerhalb der im Gesetz vorgesehenen Regularien bewegt. Hier hat die Politik ihre eigenen Interessen über die Sache gestellt.

- Für Saisonarbeitskräfte dürfen die Kosten für Verpflegung und Unterkunft mit dem Mindestlohn verrechnet werden. Dies betrifft zunächst rund 300.000 Erntehelfer und -helferinnen aus Osteuropa, die schlechter gestellt werden. Die Verrechnung von Sachleistungen eröffnet Tür und Tor für Missbrauch und schwächt eine Gruppe von Beschäftigten, der ohnehin bereits von vielen Arbeitgebern wenig Rechte zugestanden werden. Die Ausweitung der versicherungsfreien Zeit von 50 auf 70 Tage bietet einen Anreiz zur Ausdehnung der Regelung auf alle Branchen, für die Saisonarbeit typisch ist - beispielsweise der Hotel- und Gaststättenbereich sowie die Tourismusbranche. Dies wurde von Sachverständigen als sozialpolitisch äußerst bedenklich eingestuft und betrifft potentiell bis zu 800 000 Beschäftigte.

- Praktikantinnen und Praktikanten erhalten erst nach drei Monaten den Mindestlohn. Auch dies ist ein Einfallstor für Missbrauch.

Durch die vielen Ausnahmen wird der Mindestlohn seine Funktion, eine flächendeckende Lohnuntergrenze zu gewährleisten, gerade dort nicht entfalten, wo sie besonders notwendig ist. Dort, wo extremes Lohndumping existiert, weswegen es einen Mindestlohn braucht, dort werden Sonderregelungen geschaffen und Verdrängungs- und Drehtüreffekte provoziert. Damit wird weder Niedriglohnbeschäftigung oder ein Ausfransen des Lohngefüges nach unten wirksam verhindert, noch die Existenzsicherung von vollzeiterwerbstätigen Alleinstehenden gewährleistet. Das sind aber zentrale Ziele, die mit dem Mindestlohn verfolgt werden. Die generelle Verweigerung des Mindestlohns für bestimmte Gruppen ist arbeitsmarktpolitisch nicht zweckmäßig und rechtlich mehr als zweifelhaft. Dem können wir nicht zustimmen. Auch den Sonderregelungen für bestimmte Tätigkeitsbereiche können wir nicht zustimmen. Die Regelungen sind ausgrenzend, häufig stigmatisierend und sachfremd. Sie sind ein Produkt der Lobbyarbeit von Branchen und deren Verbänden und verdienen kein positives Votum. Daher enthalten wir uns.

Wir fordern einen flächendeckenden Mindestlohn für alle Beschäftigten in Höhe von 10 Euro. (Antrag 18/590) und legen unsere Kritik am Gesetz in einem Entschließungsantrag dar (Drucksache 18/2020). Wir beantragen die Streichung der Ausnahmeregelungen für Langzeiterwerbslose und Jugendliche unter 18 Jahren und lassen diesen Änderungsantrag namentlich abstimmen (Änderungsantrag 18/2019).

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