Wer Rehaleistungen braucht, soll sie auch erhalten

01.03.2012
Redebeitrag von Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.) am 01.03.2012 um 20:10 Uhr (162. Sitzung, TOP 12)

Rede von Matthias W. Birkwald (DIE LINKE)

zur ersten Lesung des AN SPD „Den demographischen Wandel bei den Aufwendungen für Leistungen zur Teilhabe in der gesetzlichen Rentenversicherung besser berücksichtigen“ (BT-Drs. 17/8602, v. 08.02.2012[1])
am 01.03.2012 im Deutschen Bundestag

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

Menschen, die aufgrund einer Krankheit für ihre Arbeit spezielle Computerbildschirme und Tastaturen oder einen orthopädischen Bürostuhl brauchen, die nach einem Band­scheibenvorfall oder nach Depressionen wieder in ihren Beruf zurückkehren wollen, all diese Menschen können sich auf die gesetzliche Rentenversicherung verlassen. Die Rentenversicherung bietet ihnen die notwendige Hilfe, finanziell, medizinisch und be­ra­tend. An diesem einen Punkt sind sich alle hier im Hause einig: Rehabilitation geht vor Rente, und das ist auch richtig so.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Markus

Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Meine Damen und Herren, wer die Voraussetzungen erfüllt und eine Rehamaßnahme braucht, der oder die soll sie auch erhalten. Daraus folgt eigentlich logisch, dass sich auch die Menge des Geldes, das für Rehamaßnahmen ausgegeben werden kann, am tatsächlichen Bedarf orientieren muss: Wenn mehr Menschen Rehaleistungen brau­chen, um wieder arbeiten zu können, na, dann muss auch mehr Geld ausgegeben wer­den.

(Beifall bei der LINKEN)

Das findet aber nicht statt. Denn vor gut 15 Jahren hat die damalige schwarz-gelbe Regierung festgelegt, dass die gesetzliche Rentenversicherung nur einen politisch willkürlich festgesetzten Betrag für Rehaleistungen ausgeben darf. Das ist der soge­nannte Rehadeckel: Das verfügbare Rehabudget orientiert sich nicht am vorhandenen Bedarf derer, die wieder gesund werden oder auch mit Behinderung arbeiten wollen, sondern – das ist schon gesagt worden – an der durchschnittlichen Entwicklung der Bruttolöhne und -gehälter der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das ist doch nun wirklich absurd.

(Beifall des Abg. Jörn Wunderlich

[DIE LINKE])

Werden die Menschen etwa gesünder, wenn die Löhne und Gehälter sinken? Nein, ganz im Gegenteil. Deswegen will die Linke keine Reha nach Kassenlage, sondern eine Reha nach Bedarf.

(Beifall bei der LINKEN)

Danach muss sich die Finanzierung richten. Leistungen zur Teilhabe dürfen sich im Interesse der Betroffenen nur am medizinisch Notwendigen ausrichten. Das ist auch eine Frage sozialer Gerechtigkeit. Deshalb muss der Rehadeckel komplett abgeschafft werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, zu Recht und völlig richtig schreiben Sie in Ihrem Antrag, dass sich die Situation in der Reha immer mehr zuspitzt. Der finanzielle Rahmen ist nahezu ausgeschöpft. Im Jahr 2005 sind knapp 92 Prozent des Reha­budgets ausgeschöpft worden. Fünf Jahre später, also im Jahr 2010, waren es bereits 99,4 Prozent. Sie stellen in Ihrem Antrag ebenfalls sehr richtig fest, dass es nicht sachgerecht ist, die Rehamittel an die Entwicklung der Bruttolöhne und -gehälter zu koppeln. Sie kritisieren diesen Deckel, fordern aber gleichzeitig die Regierung auf, sich über einen neuen Deckel Gedanken zu machen. Da sage ich Ihnen: Das ist der falsche Weg.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Alternative lautet: entweder Deckel oder Bedarf. Da ist die Position der Linken eindeutig. Wir sagen: Wer Rehaleistungen braucht, soll sie auch erhalten. Reha muss nach dem Bedarf geleistet werden. Alle anderen Maßstäbe haben hier nichts zu suchen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich sehe einen zweiten Punkt in Ihrem Antrag kritisch: Sie nutzen die Diskussion um den Rehadeckel aus, um Ihr Bekenntnis zur Rente erst ab 67 aufzufrischen. Ist denn der Rehadeckel nicht auch schon ohne die Rente erst ab 67 falsch? Auch hier ist die Linke eindeutig. Wir sagen: Wer kann und will, darf länger als bis 65 arbeiten, und wer nicht mehr kann, muss auch nicht bis 65 arbeiten. So muss der Grundsatz lauten.

(Beifall bei der LINKEN)

Damit die, die arbeiten wollen, trotz gesundheitlicher Einschränkungen oder Behinde­rung tatsächlich weiter arbeiten können, brauchen wir die Reha nach Bedarf und nicht nach Kassenlage. Darum muss der Rehadeckel

weg.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)