Wie hoch muss der gesetzliche Mindestlohn sein, um nach einem langen Arbeitsleben nicht aufs Sozialamt zu müssen? 9,60 Euro? Nein, 13 Euro!

Presseberichte zu meiner schriftlichen Frage an die Bundesregierung

25.05.2021
Armutsschwellen in Deutschland

Am Pfingstwochenende berichteten die DPA  und viele Tageszeitungen über das Ergebnis meiner Frage an die Bundesregierung: Wie hoch müsse der gesetzliche Mindestlohn sein, damit man mit und ohne den sogenannten Grundrentenzuschlag nach 45 Jahren Vollzeitarbeit (= 39 Arbeitsstunden pro Woche) eine Nettorente erreicht, die über dem durchschnittlichen Sozialhilfesatz in Deutschland liegt?

Kurz: Wie hoch muss der gesetzliche Mindestlohn sein, der auch im Alter vor Armut zu schützen? Wie viel muss ich verdienen, wie viele Stunden muss ich pro Woche und wie viele Jahre muss ich arbeiten, um am Ende meines Arbeitslebens auf ein Leben ohne staatliche Unterstützung hoffen zu können?

Die Antwort auf diese Frage hängt von vielen Faktoren ab. Wie hoch ist aktuell die Grundsicherung im Alter (Sozialhilfe)? Wie viel Kranken- und Pflegeversicherung müssen Rentnerinnen und Rentner zur zeit Zahlen? Wie viel Rente bekommt man für welchen Lohn und hat man Anspruch auf die sogenannte "Grundrente"?

Die Antwort lautet zur Zeit: 12,21 Euro pro Stunde brutto, 39 Wochenstunden und 45 Jahre lang. Dann stünde mir aktuell eine Rente in Höhe von 835 Euro netto zu.

Das zeigt: Der gesetzliche Mindestlohn war bei seiner Einführung 2015 mit 8,50 Euro viel zu niedrig und ist es heute immer noch. Die Orientierung an den Tarifsteigerungen ist an sich sinnvoll; verpufft aber wegen des niedrigen Startniveaus.

9,50 Euro oder 9,60 Euro (2, Halbjahr) schützen weder heute vor Armut trotz Vollzeitarbeit, noch schützen sie nach einem 45 Jahre langen Arbeitsleben vor Altersarmut. Einen Ausweg aus dieser Sackgasse zeigt der Entwurf für eine EU-Mindestlohnrichtline auf. Er definiert angemessene Mindestlöhne in Höhe von 60 Prozent des Bruttomedianlohnes bzw. von 50 Prozent des Bruttodurchschnittslohnes[1][1]. Die Bundesregierung verweigert aber noch Aussagen auf dieser Basis. Das Statistische Bundesamt stellt erst für Anfang 2022 entsprechende Angaben in Aussicht.

Die neuen Zahlen des BMAS zeigen, dass wir von einem angemessenen Mindestlohn aktuell sehr weit entfernt sind: Damit man ohne Anspruch auf die sogenannte „Grundrente“ nach 45 Jahren Arbeit nicht gezwungen wäre, zum Sozialamt (Grundsicherungsschwelle 2020: 835 Euro) zu gehen, müsste der gesetzliche Mindestlohn heute 12,12 Euro brutto betragen und nicht 9,50 Euro.

Die sogenannte „Grundrente“ gleicht die Rentenlücke aus (notwendiger gesetzlicher Mindestlohn mit Grundrentenzuschlag: 7,27 Euro), es sind aber zu viele Menschen von ihrem Bezug ausgeschlossen. Gleichzeitig wird deutlich, dass erst ab einem gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 14,37 Euro diejenige Schwelle von 1058 Euro erreicht wird, wenn neben dem Grundrentenzuschlag auch noch der neue Freibetrag in der Grundsicherung im Alter von 223 Euro (2020) gewährt wird.

Um das Verhältnis von angemessenen Löhnen, einer existenzsichernden Mindestsicherung auch im Alter und einem lebensstandardsichernden Rentenniveau wieder in ein ausgewogenes Gleichgewicht zu bringen, fordert DIE LINKE im Bundestag die sofortige Anhebung des Rentenniveaus auf lebensstandardsichernde 53 Prozent so wie im Jahr 2000 und der gesetzliche Mindestlohn muss auf 13 Euro angehoben werden.

Die EU-Mindestlohnrichtlinie muss durch die Bundesregierung vorbehaltlos unterstützt und zügig verabschiedet werden. Außerdem ist es erforderlich, dass sich nicht nur der gesetzliche Mindestlohn, sondern auch die Mindestsicherung im Alter an den Armutsgrenzen der Europäischen Union orientiert. Eine Person gilt nach der EU-Definition (EU-SILC) als arm, wenn sie über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung verfügt. Der aktuellste Schwellenwert für eine Person lag für das Jahr 2019 in Deutschland bei 1.176 Euro im Monat. Für das Jahr 2020 wird ein Wert oberhalb von 1.200 Euro erwartet.

 

[1] Nach den aktuellsten Angaben des Statistischen Bundesamtes lag der durchschnittliche Bruttostundenverdienst (arithmetisches Mittel) von Vollzeitbeschäftigten im vierten Quartal 2020 bei 24,25 Euro. Der gesetzliche Mindestlohn müsste demnach also 12,13 Euro betragen. Quelle: https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Verdienste/Verdienste-Verdienstunterschiede/Tabellen/vierteljaehrliche-verdienste.html[2]

 

Berichtet haben unter anderem:

  • die Tagesschau: Altersarmut bei Senioren: Grundsicherung auf Rekordstand | tagesschau.de[3],
  • die Frankfurter Rundschau: Rente: Wann verdient man genug? Immer mehr Menschen brauchen Grundsicherung | Wirtschaft (fr.de)[4],
  • oder die ZEIT: https://www.zeit.de/politik/deutschland/2021-05/rente-grundsicherung-senioren-grundrente-lebensunterhalt[5].

Hier die gesamte Auswertung mit allen Antworten des BMAS und des Statistischen Bundesamtes zum Download

 

 

 

Links:

  1. https://www.matthias-w-birkwald.de#_ftn1
  2. https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Verdienste/Verdienste-Verdienstunterschiede/Tabellen/vierteljaehrliche-verdienste.html
  3. https://www.tagesschau.de/wirtschaft/grundsicherung-senioren-101.html
  4. https://www.fr.de/wirtschaft/rente-grundsicherung-grundrente-gehalt-lohn-alter-sozialleistung-frauen-die-linke-geld-90658612.html
  5. https://www.zeit.de/zustimmung?url=https://www.zeit.de/politik/deutschland/2021-05/rente-grundsicherung-senioren-grundrente-lebensunterhalt