Gleiche Rente für gleiche Lebensleistung - gerechte Angleichung der Renten in Ostdeutschland

26.05.2011
Redebeitrag von Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.) am 26.05.2011 um 17:28 Uhr (111. Sitzung, TOP 8, ZP 4)

Rede von Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) zur abschließenden Lesung der Anträge DIE LINKE „Für eine gerechte Angleichung der Renten in Ostdeutschland“ (BT-Drs. 17/4192) und Bündnis 90/Die Grünen „Gleiches Rentenrecht in Ost und West“ (BT-Drs. 17/5207) am 26.05.2011 im Deutschen Bundestag

Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Eines möchte und muss ich vorab klarstellen: Bei der Angleichung der ostdeutschen Ren­ten an das Westniveau geht es um Gerechtigkeit ‑ und nicht um Almosen.

(Beifall bei der LINKEN ‑ Manfred Grund (CDU/CSU): Mit Almo­sen kennt ihr euch ja aus!)

Es muss gelten: gleiche Rente für gleiche Lebensleistung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Sie wollen ein gleiches Rentenrecht für Ost und West einführen und möchten damit Gerechtigkeit schaffen. Gut gemeint ist aber noch längst nicht gut gemacht. Denn Ihr Vorschlag zur Umset­zung ist leider schlecht.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

In Wahrheit festigt Ihr Vorschlag das bestehende Zweiklassensystem des Rentenrechts, und das ist ungerecht. Dem wird die Linke auf keinen Fall zustimmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Nach Ihrem Vorschlag würden alle bisherigen ostdeutschen Rentenpunkte so in westdeutsche Rentenpunkte heruntergerechnet, dass der tatsächliche Rentenans­pruch um keinen Cent steigt.

(Zuruf von der LINKEN: Unglaublich!)

Damit blieben die bisher erworbenen Rentenanwartschaften ‑ auch bei der jungen Generation ‑ bei gleicher Lebensleistung dauerhaft um 11 Prozent gekürzt. Was ist denn daran gerecht? Gar nichts!

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Silvia Schmidt (Eisle­ben) (SPD))

Die Angleichung der Ostrenten an das Westniveau war ein zentrales einigungspoliti­sches Versprechen. Das ignorieren Sie völlig, und das ist nicht akzeptabel.

Ihr Denkfehler liegt klar auf der Hand. Sie, lieber Kollege Strengmann-Kuhn, haben gegenüber der Bild-Zeitung davon gesprochen, dass ja die Osteinkommen denen im Westen nahezu angeglichen seien. Das ist falsch; die Kollegin Schmidt hat darauf bereits hingewiesen. Die Friseurin in Dresden verdient noch immer deutlich weniger als die Friseurin in Köln. Sie haben gegenüber diesem Blatt auch behauptet, es gebe ja auch keinen Ausgleich zwischen Bayern und Schleswig-Holstein. Mit Verlaub, das ist ignorant. Sie lassen dabei nämlich schlicht außer Acht, dass selbst Brandenburg als einkommensstärkstes ostdeutsches Bundesland bei den Löhnen und Gehältern deutlich abgeschlagen hinter Schleswig-Holstein als dem einkom­mensschwächsten westdeutschen Bundesland zurückfällt. Das sind die Tatsachen. Wenn Sie diese Tatsachen weiter verdrehen, heizen Sie die Neiddebatte zwischen Ost und West weiter an. Das können Sie doch nun wirklich nicht wollen.

(Beifall bei der LINKEN)

Bleiben Sie also bitte bei den Tatsachen! Die Grünen müssen endlich lernen, die Lebenswirklichkeit der Menschen in Ostdeutschland und ihr Empfinden ernst zu nehmen.

(Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So ein Unsinn!)

Die Ausgangslage ist ja bekannt. Wenn zum 1. Juli die Renten um 1 Prozent steigen, bleibt der aktuelle Rentenwert für Ostdeutsche mit 24,37 Euro weiterhin um 11 Prozent geringer als der Rentenwert für Westdeutsche mit 27,47 Euro.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das müssen wir ändern!)

Das hat bittere Folgen: Nach 45 Jahren durchschnittlichem Verdienst erhalten Ost­deutsche 140 Euro weniger Rente als Westdeutsche. Im Klartext heißt das: Die wirt­schaftliche Lebensleistung der Ostdeutschen wird in der Rentenversicherung schlechter bewertet als die der Westdeutschen, und das schon seit über 20 Jahren. Doch statt zu handeln, betreiben seit der Wiedervereinigung alle Bundesregierungen Sankt-Nimmerleins-Politik. Erinnern wir uns: Die Angleichung war ein zentrales eini­gungspolitisches Versprechen. Die Linke will, dass es jetzt endlich eingelöst wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Linke greift mit dem vorliegenden Antrag eine Lösung auf, die von den Gewerkschaften Verdi, GEW, Transnet, der Gewerkschaft der Polizei und den Sozi­alverbänden Volkssolidarität, dem Sozialverband Deutschland und dem Bund der Ruhestandsbeamten, Rentner und Hinterbliebenen entwickelt worden ist und über­zeugend vertreten wird. Nach unserem Vorschlag muss eine gerechte Angleichung erstens zu einer deutlichen Verbesserung für alle heutigen Rentnerinnen und Rent­ner führen;

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber nur im Osten!)

denn die Alterseinkünfte sind im Osten 18 Prozent geringer als im Westen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das liegt vor allem daran, dass die gesetzliche Rente bei den Ostdeutschen mehr als 90 Prozent ihres gesamten Alterseinkommens ausmacht.

Zweitens. Die Hochwertung der ostdeutschen Löhne und Gehälter muss ‑ darauf wurde eben hingewiesen ‑ als pauschaler Nachteilsausgleich beibehalten werden, und das, obwohl sich die Tariflöhne angleichen. Warum? Knapp die Hälfte aller Beschäftigten in Ostdeutschland arbeitet nämlich ohne Tarifvertrag, und die durchschnittlichen Löhne und Gehälter liegen an der Saale und der Oder nach wie vor ein Viertel unter denen am Rhein und an der Isar. Außerdem müssen Ost­deutsche für einen fast gleichen Lohn oft länger arbeiten und auf im Westen übliche Sonderzahlungen wie Urlaubsgeld oder Weihnachtsgeld verzichten. Die bloße Ang­leichung der Tariflöhne sagt also nichts über die tatsächliche Ungleichbehandlung aus. Ohne eine Hochwertung würde der Eckrentner Ost ‑ dieser ist eben vom Kolle­gen Kober erwähnt worden ‑ heute nur knapp 700 Euro Rente erhalten. Das geht nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Drittens. Die Angleichung soll bis 2016 abgeschlossen sein. Die Linke, Verdi, die Volkssolidarität und andere schlagen dafür einen steuerfinanzierten, stufenweise steigenden Zuschlag vor.

Viertens. Die Angleichung der Renten im Osten an das Westniveau darf nicht gegen eine vernünftige Lohn- und Wirtschaftspolitik für Ostdeutschland ausgespielt werden. Die Rentnerin in Cottbus ist nicht weniger wert als der Rentner in Kiel.

Herzlichen Dank.