1972 – 2022: 50 Jahre Berufsverbote Demokratische Grundrechte verteidigen!

Erst versprach Bundeskanzler Willy Brandt: „Mehr Demokratie wagen“ und dann verabschiedeten die Ministerpräsidenten der Länder unter Vorsitz von Willy Brandt am 28. Januar 1972 den „Extremistenbeschluss“ oder sogenannten Radikalenerlass.

02.02.2021

In den folgenden Jahren wurden ca. 3,5 Millionen Bewerber*innen für Berufe im öffentlichen Dienst überprüft.

Der Verfassungsschutz erhielt den Auftrag zu entscheiden, wer als „Radikaler“, als „Extremist“ oder als „Verfassungsfeind“ zu gelten hatte. Personen, die „nicht die Gewähr bieten, jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten“, wurden aus dem öffentlichen Dienst entfernt oder gar nicht erst eingestellt. Die Überprüfungen führten bundesweit zu etwa 11.000 Berufsverbotsverfahren, 2.200 Disziplinarverfahren, 1.256 Ablehnungen von Bewerbungen und 265 Entlassungen.

Betroffen waren Kommunist*innen, andere Linke bis hin zu SPD-nahen Studierendenverbänden, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes VVN-BdA und Gewerkschafter*innen. In Bayern traf es auch Sozialdemokrat*innen und in der Friedensbewegung engagierte Menschen.

Das schüchterte viele ein.

Mitglieder und Sympathisant*innen rechter Parteien und Gruppierungen wurden dagegen im öffentlichen Dienst geduldet und bei Bewerbungen fast nie abgelehnt. Um gegen nazistische Tendenzen vorzugehen, braucht es keinen neuen „Radikalenerlass“ oder „Extremistenbeschluss“, sondern die konsequente Umsetzung des Art. 139 GG und der §§ 86 und 130 StGB. Hiernach sind neonazistische Organisationen und die Verbreitung von Nazi-Gedankengut verboten.

Die Berufsverbote stehen im Widerspruch zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und den Kernnormen des internationalen Arbeitsrechts, wie die ILO seit 1987 feststellt.

Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilte 1995 die Praxis der Berufsverbote. 

Die nationale und internationale Solidaritätsbewegung, alle Menschen, die sich an diesem Kampf beteiligt haben, die Gewerkschaften und alle Initiativen gegen Berufsverbote haben sich um die Demokratie verdient gemacht. Ihre politische und materielle Unterstützung werden wir weiterhin brauchen.

Es ist an der Zeit,

  • den „Radikalenerlass“ generell und bundesweit offiziell aufzuheben,
  • alle Betroffenen voll umfänglich zu rehabilitieren und zu entschädigen,
  • die Folgen der Berufsverbote und ihre Auswirkungen auf die demokratische Kultur wissenschaftlich aufzuarbeiten.

Erstunterzeichner*innen:

Alt Franz Dr.; Autor,

Becker Peter Rechtsanwalt Kassel,

Behle Christine stv. Vorsitzende Ver.di,

Bejarano Esther Auschwitzüberlebende; Sängerin, Bejarano & Microphone Mafia Rappergruppe,

Birkwald Matthias W. MdB,

Bsirske Frank ehem. Ver.di-Vorsitzender,

Cezanne Jörg MdB,

Däubler, Prof. Dr. Wolfgang Arbeitsrechtler Uni Bremen,

Degenhardt Kai Musiker,

Deppe Frank Politikwissenschaftler Uni Marburg,

Dreyer Peter Richter,

Enderlein Hinrich ehem. Frakt.vors. Ba-Wü; Minister a.D.,

Erler, Dr.h.c. Gernot Staatsminister a.D., Foschepoth,

Prof. Dr. Josef Historiker; Autor,

Fritsch Uwe BR-Vors. VW Braunschweig, IG Metall,

Fülberth-Sperling,

Prof. Dr. Georg Wissenschaftler; politischer Publizist,

Gabelmann Sylvia MdB,

Gehrke Wolfgang Journalist; ehem. MdB,

Gerns Willi Rentner; ehem. Parteisekretär,

Becker Peter Rechtsanwalt Kassel,

Gleis Thies Parteivorstandsmitglied,

Gohlke Nicole MdB,

Gössner Rolf Richter; Publizist,

Gross Martin Leiter ver.di Landesbez. BW,

Hofmann Jörg 1. Vorsitzender IG Metall,

Hoffmann Reiner DGB-Vorsitzender,

Hornung Andrea Geschäftsführung SDAJ,

Hunko Andrej MdB,

Jäckel Otto Rechtsanwalt,

Jelpke Ulla MdB,

Kahl, Dr. Dr. Joachim Philosoph,

Kastner Wolfram Künstler; Vors. Kuratorium d. K. Eisner-Kulturstiftung,

Kerth Cornelia Bundesvorsitzende VVN-BdA,

Kessler Achim MdB,

Klinger Wolfgang Beratende Pflegefachkraft,

Köbele Patrik Parteivorsitzender,

Kocsis Andrea stv. Vorsitzende Ver.di,

Köditz Kerstin MdB,

Krämer Ralf Parteivorstandsmitglied; Ver.di,

Kreymann Lena SDAJ-Vorsitzende,

Kunzmann Martin Landesbezirksvorsitzender DGB BaWü,

Kurz Ingrid em. Prof., Linksjugend solid,

Mangelsdorff Emil Jazz-Musiker,

Merk Xaver ehem. Gewerkschaftssekretär,

Nagel Jochen ehem. GEW-Landesvorsitzender Hessen,

Neu Alexander MdB,

Nissen Ulli MdB, Paech,

Prof. Dr. Norman em Prof. Uni Hamburg,

Perli Victor MdB,

Pflüger Tobias MdB; Friedensforscher,

Pispers Volker Kabarettist,

Ramelow Bodo Ministerpräsident Thüringen,

Renner Martina MdB; Stellvertr. Parteivorsitzende,

Richter Wera Chefredakteurin UZ,

Rügemer Werner Schriftsteller,

Schalauske Jan MdL Hessen; Landesparteivorsitzender,

Schubert Michael Rechtsanwalt,

Schubert Ulrike Buchhändlerin i.R.,

Straetmanns Friedrich MdB,

Tepe Marlis GEW-Vorsitzende,

Troost Axel Stellvertr. Vorsitzender,

Urban, Dr. Hans-Jürgen Geschäftsführendes Bundesvorstandsmitglied, IG Metall,

Uthoff Max Kabarettist,

van Ooyen Willi u. Sima Kassaie-van Ooyen Friedens- und Zukunftswerkstatt,

Venske Henning Autor,

Wader Hannes Liedermacher,

Weber, Dr. Ellen Rentnerin,

Weinberg Harald MdB,

Werneke Frank Bundesvorsitzender Ver.di,

Wette, Prof. Dr. Wolfram Historiker; Friedensforscher,

Wissler Janine MdL Hessen; Fraktionsvorsitzende,

Zachcial Michael Sänger ("Die Grenzgänger"),

Zelik Raul Autor und Parteivorstandsmitglied,

Zitzelsberger Roman Bezirksleiter IG Metall Ba.-Wü.

Für die Betroffenen:

Klaus Lipps (Sprecher des Bundesarbeitsausschusses der Initiativen gegen die Berufsverbote),

Silvia Gingold, Werner Siebler,

Dorothea Vogt,

Matthias Wietzer und

Michael Csaszkóczy

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