Grundrente unter dem Bedarf

Bundesregierung beschließt nach jahrelanger Debatte das Prestigeprojekt der SPD in abgespeckter Version.

18.02.2020
Uwe Kalbe

Man glaubt es kaum: 1972 setzten die Unionsparteien bei der sozialliberalen Koalition von SPD und FDP durch, dass die damalige »Rente nach Mindesteinkommen« nach 25 Beitragsjahren gezahlt wurde. Darauf weist der Rentenexperte der Linken im Bundestag, Matthias Birkwald, hin.

In zähen Debatten hat die Union den Gesetzentwurf von Sozial- und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) zur Grundrente erfolgreich weichgespült.

33 Jahre Mindestarbeitszeit sieht der Entwurf vor, der am Mittwoch von der Bundesregierung beschlossen werden soll. Dann gilt eine Übergangszahlung, bis die Grundrente ab 35 Arbeitsjahren voll greift. Die SPD hat diese »Gleitzone« eingezogen, weil die Kritik an den 35 Beitragsjahren von Gewerkschaften und Sozialverbänden unüberhörbar war und rühmt sich nun dieser Verbesserung, um Verschlechterungen zu übertünchen, für die die Union gesorgt hat.

Die Linke verlangt dagegen eine Mindestarbeitszeit von 25 Jahren für die Grundrente, der DGB fordert 30 Jahre.

 

Die Grundrente soll an Menschen gezahlt werden, die trotz langen Arbeitslebens - es zählen auch Erziehungs- oder Pflegezeiten - von Altersarmut bedroht sind, weil sie zu wenig Rente erhalten. Profitieren sollen nach dem Befund des Sozialministeriums nun noch 1,3 Millionen Menschen - nicht 1,5 Millionen, wie es anfangs hieß. Im Entwurf selbst heißt es, insgesamt rund fünf Prozent der Versichertenrenten würden künftig über eine Grundrente aufgestockt, wobei der Anteil bei den Männern rund drei Prozent und bei den Frauen rund sieben Prozent betrage. »Etwa drei Viertel der Berechtigten leben in den alten und etwa ein Viertel in den neuen Bundesländern.«

Den vollen Aufschlag erhalten Geringverdiener, deren monatliches Einkommen als Rentner bei maximal 1250 Euro (Alleinstehende) und 1950 Euro (Paare) liegt. Einkommen über dieser Grenze sollen zu 60 Prozent auf die Grundrente angerechnet werden. Bei 1300 Euro Einkommen eines Alleinstehenden würden also 50 Euro zu 60 Prozent angerechnet - die Grundrente fiele 30 Euro niedriger aus.

Nachdem Hubertus Heil nach mehrfachem Veto der Union sich zu Monatsbeginn nochmals mit Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zusammengesetzt hatte, wurde erneut »nachgebessert«. Nun ist eine zweite Schwelle vorgesehen: Liegt das Einkommen bei mehr als 1600 Euro für einen einzelnen Rentner beziehungsweise 2300 Euro für ein Ehepaar, soll es statt zu 60 Prozent zu vollen 100 Prozent auf den Grundrentenzuschlag angerechnet werden. Hat ein Ehepaar also zum Beispiel 2400 Euro Einkommen, vermindert sich die Grundrente um 100 Euro.

Diese Anrechnungen, die im Ergebnis Anspruchsreduzierungen sind, gehen zurück auf die Forderung der Union, die Grundrente an eine Vermögensprüfung zu koppeln. Aus der Vermögens- wurde schließlich eine Einkommensprüfung - ebenfalls mit der Begründung, die Grundrente nur Menschen zukommen zu lassen, die sie auch brauchen. Im Ergebnis allerdings dürften auf diese Weise immer mehr Bedürftige von der Grundrente abgeschnitten sein, die sie eigentlich benötigten.

Eine Folge der Einkommensprüfung ist auch ein angestrebter Datenabgleich zwischen Deutscher Rentenversicherung und den Finanzämtern. Ob dieser wie gedacht vollständig automatisiert werden kann und darüber hinaus den Standards des Datenschutzes entspricht, ist noch vollständig unklar und unter Fachleuten heftig umstritten. Bisher gibt es keinen automatisierten Datenabgleich zwischen diesen Behörden.

Dass die Einführung der Grundrente »unbürokratisch« vonstatten geht, wie die Koalitionäre es ankündigten, ist ausgeschlossen. Die Rentenversicherung selbst prognostizierte ihren internen Verwaltungsaufwand allein zur Prüfung der Ansprüche von Bestandsrentnern auf 74,8 Millionen Euro. 640 Beschäftigte der Rentenversicherung sollen damit ein Jahr lang beschäftigt sein. Zur Prüfung ausländischer Einkommen bei Bestandsrentnern kommen demzufolge 75,9 Millionen Euro hinzu. Hierfür sollen weitere 650 Arbeitnehmer ein Jahr lang nötig sein.

Die Grundrente soll aus dem Bundeshaushalt bestritten werden, also aus Steuergeldern. Als mögliche Finanzierungsquelle war bislang der Ertrag einer Finanztransaktionssteuer angeführt worden, der Vorschlag ist jedoch bis heute umstritten. Und auf EU-Ebene sind bisher alle Versuche einer Einigung über die Einführung einer solchen Steuer gescheitert. Der Aufwand für die Grundrente wird für 2021 mit 1,30 Milliarden Euro angegeben. Da wurde noch einiges eingespart, im Entwurf vom Januar waren 1,39 Milliarden Euro vorgesehen.

Rechnerisch kommen für die kalkulierten Anspruchsberechtigten dabei durchschnittlich rund 83 Euro im Monat heraus. Maximal kann der monatliche Zuschlag bei 404,86 Euro brutto liegen, wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der FDP hervorgeht. Abzüglich der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in derzeitiger Höhe ergibt sich eine Nettorente von 360,73 Euro für Rentner mit Kindern. Der Grundsicherungsbedarf für Rentner beträgt jedoch bundesweit bereits jetzt durchschnittlich 447 Euro monatlich.

Als Nettobedarf wird der Betrag bezeichnet, um den die Rentenansprüche von Grundsicherungsempfängern aufgestockt werden. Wegen der unterschiedlichen Wohnkosten sind das in München dem Arbeitsministerium zufolge 579 Euro, in Frankfurt am Main 573 Euro, in Köln 535 Euro, in Stuttgart 543 Euro und in Dresden 415 Euro.

Die Grundrente bleibt damit hinter dem Bedarf zur Behebung der Altersarmut weit zurück.