Für eine Rente ohne Armut!

Matthias W. Birkwald ist Mitglied des deutschen Bundestages und rentenpolitischer Sprecher der Linke. Die Deutsch-Türkische Zeitung "Yeni Hayat" hat mit ihm über die aktuelle Rentendebatte und – entwicklungen gesprochen.

26.11.2019
Yücel Özdemir

Nach einer langen Debatte hat sich die Bundesregierung auf eine Grundrente geeinigt. Wie bewerten Sie die vorgeschlagene Grundrente?

Union und SPD zahlen mit der sogenannten „Grundrente“ die Zeche dafür, dass sie seit den 2000er Jahren systematisch einen der größten Niedriglohnsektoren in Europa gefördert und zugelassen haben. Deshalb ist es nur gut, dass Menschen, die 35 Jahre zu miesen Löhnen arbeiten mussten, auf etwas mehr Rente hoffen dürfen. Und dass der Grundrentenzuschlag und die neuen Freibeträge beim Wohngeld und der „Grundsicherung im Alter“ komplett aus Steuermitteln gegenfinanziert werden, ist ebenfalls gut. Schlecht ist, dass durch die Einkommensprüfung und die Anhebung der Untergrenze an Entgeltpunkten ca. 1,4 Millionen Menschen mit einem Federstrich von der sogenannten „Grundrente“ ausgeschlossen werden.

Sie haben immer von der Altersarmut gesprochen. Wie ist die soziale Situation der Rentner in Deutschland?

Die Situation ist beängstigend. Immer mehr Menschen in Deutschland sind im Alter auf Sozialhilfe, also auf die „Grundsicherung im Alter“, das Hartz IV für Rentner, angewiesen. Seit 2003 hat sich ihre Zahl mehr als verdoppelt und sie stieg von 257.700 auf 566.411.

Dazu kommen 270.766 Rentnerhaushalte, die Wohngeld beziehen müssen. Nimmt man die Menschen dazu, die im Alter Sozialhilfe erhalten würden, aber sie aus Scham nicht beantragen, so sind das 1,6 Millionen Ältere, die von weniger als gut 800 Euro im Monat leben und Miete bezahlen müssen. Das sind aber nur die Ärmsten der Armen.

Nach offiziellen EU-Zahlen gelten heute 17,0 Prozent aller Menschen ab 65 Jahren als arm und müssen von weniger als 1.136 Euro im Monat leben. In absoluten Zahlen: 1,2 Millionen Männer und 1,7 Millionen Frauen, also 2,9 Millionen Menschen. Tendenz langfristig steigend.

Wie ist die Situation von Rentnern mit Migrationshintergrund?

Über die Nationalität der Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger wissen wir, dass 145.088 der 566.411 Sozialhilfeempfängerinnen und- empfänger im Alter keinen deutschen Pass besitzen und deshalb mit einem Viertel weit stärker von extremer Altersarmut als Deutsche betroffen sind. Über 60 Prozent davon sind Frauen!

Aus einer etwas älteren Studie der Hans-Böckler-Stiftung wissen wir, dass aus der Türkei zugewanderte Männer im Jahr 2012 im Schnitt nur auf eine gesetzliche Rente von 742 Euro kamen, während Deutsche immerhin 1.109 Euro im Monat bezogen. Türkische Frauen erhielten nur 363 Euro gegenüber 572 Euro, die deutsche Frauen erhielten.

Noch drastischer zeigten sich die sozialen Unterschiede nach der Analyse der Forscher beim Blick auf die Armutsquoten. Von den Deutschen ab 65 Jahren galten 12,5 Prozent als armutsgefährdet. Unter Gastarbeitern im Rentenalter waren dagegen 41,8 Prozent von Armut bedroht, bei türkischstämmigen Migranten sogar fast 55 Prozent!

Gibt es die Grundrente in anderen europäischen Ländern?

Leider gibt es keine verlässliche europaweite Übersicht dazu. Wir wissen aber, dass es in über 20 der 27 EU-Staaten eine Mindestrente gibt und wir haben sehr aussagekräftige Daten der OECD zu den sogenannten Nettoersatzraten von Menschen, die zu niedrigen Löhnen arbeiten müssen. Da wird also verglichen, wie viel Rente man erhält, wenn man über viele Jahre hinweg zum halben Durchschnittslohn also aktuell bei uns 1620 Euro (brutto) gearbeitet hat. Deutschland liegt da in der OECD auf dem fünftletzten Platz.

In den Niederlanden erhalten alleinstehende Menschen, die 50 Jahre dort gelebt haben, eine echte Grundrente von 1224 Euro netto monatlich. Dafür mussten sie nicht arbeiten. Und in Österreich erhalten Menschen nach 15 Jahren Beitragszahlung eine steuerfreie echte Mindestrente von 1088 Euro monatlich.

Welche Vorschläge hat ihre Partei gegen Altersarmut?

DIE LINKE fordert vier zielgerichtete Maßnahmen gegen Altersarmut: Das Rentenniveau muss wieder von 48,16 auf 53 Prozent angehoben werden. Damit würden alle Renten in Deutschland um ca. zehn Prozent erhöht werden!

Zweitens soll die sogenannte „Grundrente“ nicht erst nach 35 Beitragsjahren, sondern schon nach 25 Jahren bewilligt, damit vor allem mehr Frauen mit kurzen Beitragszeiten profitieren. Wichtig ist drittens, dass alle Erwerbsminderungsrentner, die aufgrund von Krankheit nicht mehr arbeiten konnten, endlich eine armutsfeste Rente erhalten. Und als vierten Schritt fordert DIE LINKE eine einkommens- und vermögensgeprüfte solidarische Mindestrente, damit niemand im Alter von weniger als 1.050 Euro netto leben muss.

Die SPD hat den Kompromiss „sozialpolitischen Meilenstein“ genannt. Kann diese Einigung die SPD aus der Krise holen?

Nein, die sogenannte „Grundrente“ alleine wird das nicht leisten, da muss die SPD sich schon grundlegend erneuern. Die sogenannte „Grundrente“ ist kein sozialpolitischer Meilenstein, sondern eher ein Rettungsring für den Fortbestand der Bundesregierung. Der ursprüngliche Vorschlag von Hubertus Heil (SPD) war zwar deutlich besser als der nun vorliegende Kompromiss. Für die Verschlechterungen (schärfere Voraussetzungen, gekürzte Leistungen) ist die CDU/CSU verantwortlich. Aber die Menschen werden die sogenannte „Grundrente“ daran messen, was beschlossen wird.