"Soziales Entschädigungsrecht als neues Sozialgesetzbuch XIV auf den Weg bringen!"

Rede von Matthias W. Birkwald im Plenum des Deutschen Bundestages am 7. November 2019

07.11.2019
Redebeitrag von Matthias W. Birkwald (Die Linke) am 07.11.2019 um 22:52 Uhr (124. Sitzung, TOP 14)

Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Es ist gut, dass wir heute ein umfassendes und deutlich verbessertes Soziales Entschädigungsrecht als neues Sozialgesetzbuch XIV auf den Weg bringen.

Menschen, die unverschuldet durch die Gewalt anderer schwerwiegende Folgen zu tragen haben, brauchen schnelle und zielgerichtete Hilfe, auch staatliche. Und die wird es künftig geben.

Fünf Punkte will ich hervorheben:

  1. Alle Menschen, die in Deutschland Gewalt erleben, werden nun im Entschädigungsrecht gleichbehandelt, egal welcher Herkunft sie sind oder welche Nationalität sie haben. Das ist gut. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
  2.  Die Opfer werden deutlich mehr Geld erhalten. Das ist gut. (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
  3. Die schnellen Hilfen werden durch Trauma-Ambulanzen ermöglicht, und Fallmanager und Fallmanagerinnen werden die Betroffenen unterstützen, sich im Verfahren zurechtzufinden. Das ist gut. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
  4. Psychische Gewalt und Stalking werden explizit in das Gesetz aufgenommen. Das ist gut.
  5. Die Trauma-Ambulanzen werden bereits zum Jahr 2021 in den Ländern eingerichtet werden und nicht - wie von der Koalition zunächst geplant - erst ab 2024 ihre Arbeit aufnehmen. Das ist gut und wurde von der Opposition in den Gesetzentwurf hineinverhandelt. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir Linken begrüßen es außerdem ganz besonders, dass alle Formen von Angriffen auf die sexuelle Selbstbestimmung von Kindern und Jugendlichen sowie von Erwachsenen vom Entschädigungstatbestand erfasst sind.

Darauf haben wir uns in einer gemeinsamen Beschlussempfehlung der Regierungsfraktionen und der Fraktionen der demokratischen Opposition verständigt, und das war und ist der Linksfraktion außerordentlich wichtig.

(Beifall bei der LINKEN)

Warum? Es bedeutet: Die Betroffenen erhalten jetzt die notwendige Rechtssicherheit.

Meine Damen und Herren, für eine Opfergruppe ist Gewalt meistens kein einmaliges Ereignis, sondern leider oft Alltag: Hunderttausende Frauen - und einige Tausend Männer - erleben in Deutschland Gewalt durch ihren eigenen Partner, ihre Partnerin, durch Bekannte oder auch durch Fremde.

Frauen sind besonders betroffen; denn jede vierte Frau hat schon mindestens einmal in ihrem Leben häusliche Gewalt erleben müssen, und jede dritte Frau erlebt im Verlaufe ihres Lebens häusliche oder sexualisierte Gewalt.

Doch ausgerechnet diese größte aller Opfergruppen erhielt nach dem alten Recht oft keine Entschädigung. Ihnen wurden oft Leistungen wegen sogenannter „Unbilligkeit“ oder „Mitverursachung“ versagt.

Das betraf und betrifft insbesondere Frauen, die „zu lange“ in der „Partnerschaft“ geblieben sind oder sogar in die Gewaltbeziehung zurückgingen.

Aus der Praxis der Beratungsstellen, aus der Praxis der Frauenhäuser und aus der Wissenschaft wissen wir aber, dass diese Frauen meist gar keine andere Chance hatten.

Und deshalb ist es gut und richtig, dass nun alle Formen von Angriffen auf die sexuelle Selbstbestimmung von Kindern und Jugendlichen sowie von Erwachsenen vom Entschädigungstatbestand des § 13 Absatz 1 SGB XIV umfasst sind.

Diesen Punkt hat Die Linke im Beratungsprozess besonders stark betont.

(Beifall bei der LINKEN)

Das gilt für die Verbesserung der Situation von Betroffenen häuslicher Gewalt; denn dazu gehört, dass der Verbleib in einer häuslichen Gemeinschaft mit einem Schädiger nicht grundsätzlich als vorwerfbare Selbstgefährdung gewertet werden soll. Von Gewalt betroffene Frauen müssen nun auch nicht mehr Anzeige erstatten, um Leistungen zu erhalten. Damit wird eine wesentliche Hürde abgebaut, und das ist gut so.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir hätten uns an dieser Stelle noch deutlichere Regelungen gewünscht. Es braucht eine eindeutige Klarstellung, dass das Verbleiben in einer Gewaltbeziehung nicht zu „Unbilligkeit“ und damit zum Leistungsausschluss führt.

Nun heißt es in der Beschlussempfehlung, dass das Verbleiben in häuslicher Gemeinschaft nicht grundsätzlich als Selbstgefährdung gewertet wird. Immerhin. Hier hätte das Gesetz aber klarer sein dürfen.

Ein Kritikpunkt zum Schluss: Wir halten es immer noch für problematisch, dass das Gesetz erst ab dem Jahr 2024 gelten wird; denn damit werden die Erfassung von psychischen Gewalttaten und die Beweiserleichterungen für die Opfer, die zwischen 2020 und 2024 Gewalt erleiden müssen, nicht umgesetzt, und das ist schlecht.

Meine Damen und Herren, als letzten Satz:

Ich möchte mich für das ausgesprochen transparente und wertschätzende sowie konstruktive Verfahren und den Arbeitsprozess herzlich bei den Kollegen Matthias Bartke, Sven Lehmann, Jens Beeck und - stellvertretend fürs Ministerium - bei der Parlamentarischen Staatssekretärin Kerstin Griese bedanken.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Trotz unserer Kritikpunkte und obwohl wir gerne weitere Klarstellungen und Ergänzungen gesehen hätten, wird DIE LINKE diesem insgesamt guten Gesetzentwurf zustimmen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Jens Beeck (FDP))