Den unwürdigen Streit um die sogenannte „Grundrente“ beenden

Artikel von Matthias W. Birkwald auf linksfraktion.de

23.08.2019

Kaum ein anderes Thema macht die Handlungsblockade der ehemals Großen Koalition offensichtlicher als die sogenannte „Grundrente“. Am Ende der parlamentarischen Sommerpause wurde ihre Beratung jetzt ein weiteres Mal vertagt und in eine Arbeitsgruppe aus Union und SPD geschoben. Das heißt: Wieder wird kein Schritt zu mehr Rentengerechtigkeit getan. Matthias W. Birkwald wirft aus diesem Anlass einen Blick in die Geschichte der gesetzlichen Rente, analysiert die Blockadegründe der Union und sagt, was dringend geschehen müsste.

Früher normal: Niedrige Renten wurden aufgewertet

Was nur wenige wissen: Schon seit 1972 gab und gibt es im deutschen Rentenrecht ein Instrument, dass Menschen, die viele Jahre mit niedrigen Löhnen zurechtkommen mussten, wenigstens in der Rente etwas besser stellt. Es heißt „Rente nach Mindesteinkommen“ bzw. „Rente nach Mindestentgeltpunkten“. 

Diese Aufwertung von niedrigen Renten gilt aber nur für rentenrechtliche Zeiten bis 1991. Weit mehr als drei Millionen Menschen profitieren noch heute von ihr – zu 88 Prozent Frauen! Und im vergangenen Jahr sind noch einmal 176.000 dazu gekommen. Das ist gut so, denn gerade seit den 90er Jahren mussten viele Beschäftigte – vor allem im Osten – mit niedrigen Löhnen, Befristungen und Arbeitslosigkeit kämpfen. Die Einführung von Hartz IV verstärkte in den 2000er Jahren den Druck auf die Löhne noch mehr. Erst mit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns ab dem Jahr 2015 wurde dieser Niedergang etwas abgebremst.

1990er und 2000er Jahre: Zeiten von Lohndumping, Hartz IV und Rentenkürzungen

Gleichzeitig wurde in den 2000er Jahren aber auch das Leistungsniveau der gesetzlichen Rente abgesenkt. Die jährlichen Rentenerhöhungen folgten nicht mehr der Lohnentwicklung. Es gab sogar Nullrunden. Für viele, die heute in Rente gehen, kam der gesetzliche Mindestlohn also viel zu spät, und er ist ohnehin auch viel zu niedrig. Mit Mindestlohnjobs kann man sich keine sorgenfreie gesetzliche Rente aufbauen.

DIE LINKE würde „Grundrente“ unterstützen

Deshalb hat DIE LINKE gemeinsam mit den Gewerkschaften und den Sozialverbänden jahrelang dafür gekämpft, dass diese fleißigen Menschen, die jahrelang sehr hart für einen schändlichen Lohn geschuftet haben, wenigstens im Alter etwas Anerkennung erhalten und nicht auf Sozialhilfe angewiesen sein mögen. Darum habe ich den Gesetzentwurf von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) zur Einführung einer „Grundrente“ im Kern begrüßt, und DIE LINKE würde ihn auch im Bundestag unterstützen.

Was wir bräuchten: Mindestlohn rauf, Rentenniveau anheben

Noch mehr wäre den heutigen Beschäftigten allerdings mit einem gesetzlichen Mindestlohn von zwölf Euro oder mehr geholfen. Darüber hinaus wäre für die heutigen und die künftigen Rentnerinnen und Rentner eine Wiederanhebung des Rentenniveaus auf lebensstandardsichernde 53 Prozent sehr wichtig. 

Die Rente leistet noch mehr

Unabhängig davon hat die gesetzliche Rente immer auch für einen sozialen Ausgleich von Menschen in besonderen Lebenslagen gesorgt. Dies muss sie unbedingt auch weiterhin leisten. Sei es, weil Angehörige gepflegt werden müssen, sei es, weil Versicherte krank werden oder sie Kinder erziehen oder eben in schlecht bezahlten Jobs arbeiten müssen. 

Schluss mit Abschlägen auf Erwerbsminderungsrenten

Deshalb fordern wir LINKEN auch die Abschaffung der Abschläge bei Erwerbsminderungsrenten (oder eine wirkungsgleiche andere Maßnahme), die bessere Anerkennung von Ausbildungs- und Pflegezeiten in der Rente und eine höhere und vor allem gleiche sogenannte "Mütterrente" für die Erziehung jeden Kindes, egal, wann es geboren wurde und egal, ob es in West- oder Ostdeutschland geboren wurde. Diese Werkzeuge des sozialen Ausgleichs für besondere Lebenslagen sollen in der Rente dazu beitragen, dass Brüche, wie sehr viele sie irgendwann einmal zu bewältigen haben, nicht dazu führen, dass man sich wegen fünf, sechs harten Jahren eine anständige Rente komplett abschminken muss. Deshalb wird die sogenannte „Mütterrente“ auch auf dem Rentenkonto gutgeschrieben, egal ob man arm ist, egal ob man einen reichen Mann oder eine reiche Frau hat oder vielleicht einmal ein kleines Häuschen erben wird. 

Keine Bedürftigkeitsprüfung bei der „Grundrente“

Und genau deshalb lehnt DIE LINKE auch bei der sogenannten „Grundrente“ (die in Wirklichkeit keine ist) die von der Union geforderte Bedürftigkeitsprüfung kategorisch ab. Schließlich haben die betreffenden Menschen jahrzehntelang in die Rentenkasse eingezahlt, damit sie auch gegen solche unverschuldeten Risiken versichert sind. 

Union macht Menschen zu Bittstellern

Am Ende geht es CDU/CSU aber gar nicht um die Frage, ob eine Handvoll Niedriglöhnerinnen oder Niedriglöhner die Aufwertung erhielten, obwohl sie das Geld gar nicht bräuchten. Nein, es geht ihnen darum, die gesetzliche Rente kaputtzusparen. Die Union will offensichtlich Menschen, die 35 Jahre hart – und oft für viel zu wenig Geld – gearbeitet haben, am Ende wieder zu Bittstellern und Bittstellerinnen machen. Damit tritt sie das soziale Versprechen der gesetzlichen Rente, dass Beschäftigte nach einem langen Arbeitsleben auf eine Rente, die zum Leben reicht, hoffen dürfen, mit Füßen. Union und SPD müssen sich nicht wundern, wenn die unwürdige Debatte um die sogenannte „Grundrente“ so nicht zu einem Erfolgsprojekt wird, sondern eher zu weiteren Wahlverlusten im Osten beitragen wird.

Ein Schritt in die richtige Richtung: „Grundrente“ ohne Bedürftigkeitsprüfung

Darum fordere ich die Unionspolitiker und - politikerinnen klar und deutlich auf:

Geben Sie Ihren Widerstand gegen die Fortführung einer reformierten „Rente nach Mindestentgeltpunkten“ endlich auf. Nichts anderes nämlich ist die sogenannte „Grundrente“. Beschäftigen Sie sich ernsthaft mit unserem Rentensystem. Dann werden Sie feststellen: 

Eine „Grundrente“ mit Bedürftigkeitsprüfung wäre keine. Warum nämlich sollte Menschen nach 35 Jahren Arbeit nur ein Schonvermögen von 5000 Euro bleiben?

Und eine „Grundrente“ mit Bedürftigkeitsprüfung gibt es schon. Sie heißt „Grundsicherung im Alter“. Die ist mit durchschnittlich rund 800 Euro netto eh viel zu niedrig bemessen. Wir brauchen darum eine einkommens- und vermögensgeprüfte Solidarische Mindestrente, damit endlich gelten möge: Niemand in diesem Land soll im Alter von weniger als 1050 Euro netto leben müssen. Der Artikel 1 unseres Grundgesetzes muss auch für alle Menschen nach ihrem 65. Geburtstag gelten. Die sogenannte „Grundrente“ ohne Bedürftigkeitsprüfung wäre ein Schritt in diese Richtung. Deshalb: Her damit!

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