Steigende Altersarmut ist Bankrotterklärung für die Rentenpolitik der Bundesregierung

Matthias W. Birkwald im SWR2 Tagesgespräch

24.11.2016

Wortlaut des Live-Gesprächs:

Florian Rudolph: Die Rente ist unser Thema, aber lassen Sie uns zunächst kurz über die Wahl des nächsten Bundespräsidenten reden. Die Grünen wollen ihren Kandidaten Butterwegge nicht unterstützen. Welchen Sinn macht es denn, den Armutsforscher in ein derart aussichtsloses Rennen zu schicken?

Matthias W. Birkwald: Frank-Walter Steinmeier braucht dringend eine Alternative. Er ist der Architekt der Agenda 2010, der Mitverantwortliche für Hartz IV und mit Professor Christoph Butterwegge haben wir da einen respektablen Gegenkandidaten, denn Christoph Butterwegge ist einer derer, der wie wenige andere für die Erneuerung des Sozialstaats steht, für eine Politik gegen Armut und soziale Ausgrenzung und gegen jede Art des anti-sozialen Neoliberalismus und deswegen bin ich froh, ihn am 12.Februar wählen zu dürfen.

Rudolph: Kommt Ihnen im Fall des Koalitionskandidatens Steinmeier die Ideologie in die Quere, wie Grünen-Fraktionschefin Göring-Eckardt behauptet?

Birkwald: Nein, nicht die Ideologie. Aber Herr Steinmeier ist für ein Großteil der Spaltung der Gesellschaft mitverantwortlich, denn Hartz IV ist nach wie vor Armut per Gesetz. Die Armut steigt, auch die Altersarmut steigt und da müssen wir als Linke schon einen Kandidaten dagegen setzen, der eine Agenda Solidarität vertritt.

Rudolph: Ist Ideologie denn ein Ratgeber, wenn es darum geht, die gesetzliche Rente zukunftsfest zu machen? Den Vorwurf erhebt ja Arbeitsministerin Nahles, die sagt, es interessiere ihre Partei gar nicht, wie ein höheres Rentenniveau finanzierbar sei.

Birkwald: Ja, das hat sie behauptet. Aber diese Behauptung ist falsch. Wir brauchen dringend ein höheres Rentenniveau. Dass das sinkende Rentenniveau für mehr Altersarmut sorgt, hat sie jetzt zugegeben. Sie will ja eine Solidarrente vorstellen, eine Konzept für eine Solidarrente, und sagt selbst, dass die Zahl der Nutznießer ihrer Pläne in den nächsten Jahren auf 1,9 Millionen Menschen anwachsen wird. Das heißt, wir haben jedes Jahr einen Zuwachs in der Grundsicherung im Alter von sechs bis sieben Prozent und das ist eine Bankrotterklärung für die aktuelle Rentenpolitik. Das hat nichts mit Ideologie zu tun, und ein höheres, ein Lebensstandard sicherndes Rentenniveau wäre auch finanzierbar.

Rudolph: Jeder Prozentpunkt kostet sechs Milliarden, heißt es. Sie fordern ein Rentenniveau von 53 Prozent. Haben sie das solide durchgerechnet?

Birkwald: Ja, das haben wir. Sie müssen wissen, wir haben auch 31,4 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Wenn wir das Rentenniveau in einem Schritt um fünf Prozentpunkte auf 53 Prozent wieder anheben würden, also auf das Niveau, das wir hatten, bevor Herr Schröder und Herr Riester es in den Sinkflug geschickt haben im Jahr 2000, dann müsste ein durchschnittlich verdienender Beschäftigter mit 3.022 Euro brutto 33 Euro mehr in die Rentenkasse einzahlen, sein Arbeitgeber oder Arbeitgeberin ebenfalls, aber auf der anderen Seite könnte sich so jemand dann die Riester-Beiträge sparen und ein durchschnittlich verdienender Beschäftigter soll ohne steuerliche Zulagen 108 Euro im Monat in Riester stecken. Das macht unter dem Strich 75 Euro mehr in der Tasche von durchschnittlich verdienenden Beschäftigten. Ich finde das ist ein sehr attraktives Angebot.

Rudolph: Die Lebenserwartung steigt nun beständig. Wer heute geboren wird, hat gute Chancen sehr alt zu werden. Lässt sich da eine Altersvorsorge weiter beitragsorientiert finanzieren?

Birkwald: Ja. Das können wir in unserem Nachbarland Österreich sehen. In Österreich hat es keine Teilprivatisierung der Rente mit Kapitaldeckungsverfahren gegeben. Dort gibt es ausschließlich, fast ausschließlich, die gesetzliche Rente im Umlageverfahren, und dort haben langjährig beschäftigte Männer 1.820 Euro Rente im Durchschnitt. Im Vergleich dazu haben dieselben Männer in Deutschland 1.050 Euro. Das sind 770 Euro mehr pro Monat, und daran kann man sehen, wie leistungsfähig ein solches Rentensystem ist, wenn man sich auf die gesetzliche Rente orientiert.

Rudolph: Nun ist ja immer die Frage, ob man ein Land der Größe Österreichs so 1:1 auf Deutschland übertragen kann, das sei mal dahingestellt. Gibt es aber doch auch Stimmen, die vor einem drohenden Finanzloch bei der Rente in unserem Nachbarland warnen?

Birkwald: Die Stimmen sind aber noch sehr klein. In unserem Nachbarland zahlen die Arbeitgeber deutlich mehr in die Rentenkasse als die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Renten sind am Schluss deutlich höher. Im Übrigen, der Beitragssatz zur Rentenversicherung liegt in Österreich bei 22,8 Prozent und das schon seit 1988. Das österreichische Rentensystem ist sehr solide finanziert und ich empfehle der Ministerin, dort mal einen Blick hin zu tun.

Rudolph: Jetzt schauen wir mal gespannt auf heute Abend und dann auf Freitagmorgen. Welche Erwartung haben Sie denn an das Konzept der Bundesarbeitsministerin zur Zukunft der Alterssicherung?

Birkwald: Zunächst einmal bin ich gespannt, was sie für diejenigen armen Rentnerinnen und Rentner tun will. Ob sie das Konzept der Solidarrente, so wie es im Koalitionsvertrag steht, vorstellen wird, da bin ich ausgesprochen skeptisch. Denn dieses Konzept ist sehr schlecht. Ich habe die Bundesregierung gefragt, wie viele Menschen denn heute davon profitieren würden und die Antwort der Bundesregierung war, 66.000. Wir haben aber schon heute eine hohe Altersarmut. Es sind schon 2,8 Millionen Menschen, die älter als 65 Jahre alt sind nach den Kriterien der Europäischen Union als arm zu bezeichnen und da wäre das bisherige Konzept der Solidarrente keine Hilfe dagegen. Deswegen bin ich sehr gespannt, was sie an der Stelle vorlegen wird. Ich bin auch gespannt, ob es endlich eine Angleichung der Ost-Renten an das Westniveau geben soll, so wie es der Präsident der Deutschen Rentenversicherung, Herr Reimann, heute Morgen auch noch einmal gefordert hat. Und ich bin auch sehr gespannt, auf wie viel Prozent Rentenniveau denn Frau Nahles gehen will, oder ob sie nur den weiteren Absturz in 20 oder 30 Jahren etwas abmildern will. Das Letztere wäre nicht gut genug.

-Ende Wortlaut-