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Matthias W. Birkwald

ARD Plusminus: Renten in Österreich – Vorbild für Deutschland?

Fernsehbeitrag mit einem Statement von Matthias W. Birkwald MdB

08.03.2017
ARD, plusminus, Ingo Blank
Screenshot der Sendung plusminus vom 08.03.2017, für die u. a. Matthias W. Birkwald MdB interviewt wurde.

Video zum Bericht:
www.daserste.de/information/wirtschaft-boerse/plusminus/videos/Plusminus_08-03-2017_Rente-100.html

Susanne Rendl lebt in Wien. Nächstes Jahr kann sie in Rente gehen. Mit 60. Die Ingenieurin und Kulturwissenschaftlerin hatte während ihres Erwerbslebens oft nur befristete und mäßig bezahlte Jobs und aus familiären Gründen lange Ausfallzeiten. Die Prognose über die aus ihrem Erwerbsleben resultierende Rentenhöhe war dann aber eine angenehme Überraschung: 1658 Euro! Davon können in Deutschland viele nur träumen. Und das sogar 14 Mal im Jahr. Im deutschen Rentensystem wären bei dem gleichen Verlauf höchstens 1.100 Euro zusammengekommen.

Informationsbesuch: Erste Eindrücke

Aber: Sind die hohen Renten in Österreich auf Dauer finanzierbar? Das fragen sich zunehmend Politiker aus Deutschland, so auch eine Delegation des Bundestages, die vor wenigen Tagen zum Informationsaustausch in Wien war. Dazu zwei Stimmen aus Deutschland.

  • In Deutschland sei zu wenig auf die gesetzliche Rente und das Umlagesystem gesetzt worden, meint Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.).
  • Österreich gebe für die Rente viel mehr Geld aus. Das sei historisch so. Eine Prioritätenfrage, für Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Bündnis 90/Die Grünen).

Die Unterschiede

Aber was genau ist in der Alpenrepublik anders?

Höhere Anrechnung: Im Vergleich zu Deutschland gibt es in Österreich für jedes Versicherungsjahr eine höhere Rentengutschrift. Da gilt immer noch der Grundsatz: Die gesetzliche Rente muss im Alter den Lebensstandard sichern. Nach 45 Arbeitsjahren bekommt ein Rentner in Österreich um die 80 Prozent seines durchschnittlichen Bruttoeinkommens. In Deutschland sind es nur gut 44 Prozent, Tendenz: fallend. Der enorme Unterschied hat selbst Rentenexperten in Österreich überrascht.Das Leistungsniveau in Deutschland reiche in vielen Fällen nur noch für Renten unterhalb der Armutsgrenze. „Mit dem haben wir absolut nicht gerechnet. Das ist aus österreichischer Perspektive schon sehr komisch, dass ein reiches Land wie Deutschland sich kein besseres Rentensystem leistet“ so Dr. Josef Wöss von der Arbeiterkammer Wien.

Erwerbstätigenversicherung: Anders als in Deutschland zahlen in Österreich alle Erwerbstätigen in die Rentenkasse ein. Auch Selbstständige und Geringverdiener. Bis zur Einkommensgrenze von 4980 Euro müssen Beiträge bezahlt werden. Die Versicherungspflicht beginnt ab einem Einkommen von rund 450 Euro. Die Grenze für beitragsfreie geringfügige Beschäftigungen liegt bei 425,70 Euro. Wer mehr verdient, muss Beiträge in die Rentenkasse zahlen.

Bruttoinlandsprodukt: Deutschland gibt nur knapp zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Renten aus. Österreich dagegen 14 Prozent.

Betriebsrenten und Privatvorsorge: 90 Prozent der Österreicher verlassen sich auf die gesetzliche Rente. Nur zehn Prozent haben eine zusätzliche Betriebsrente. Eine teure staatlich geförderte Privatvorsorge auf Kosten der gesetzlichen Rente blieb den Österreichern erspart.

Beitragssätze: Dafür ist der Beitragssatz zur gesetzlichen Rente mit 22,8 Prozent höher als in Deutschland. Die Arbeitnehmer zahlen aber nur 10,25, die Arbeitgeber dagegen 12,55. Die Wirtschaftskammer in Wien beklagt das natürlich. „Wir haben einen europäischen Spitzensatz erreicht. Wir würden gerne die Lohnnebenkosten senken, erhöhen geht ganz sicher nicht mehr“, sagt Dr. Martin Gleitsmann von der Wirtschaftskammer Österreich.

Kostenvergleich: Alle Versuche, etwas zu ändern, waren bisher aber politisch nicht durchsetzbar. Anders als in Deutschland. „Es ist ja keine Kostenersparnis, wenn ich vom gesetzlichen System zu einer privaten Vorsorgeform wechsle. Dadurch werden ja fürs erste keine Kosten gespart. Bestenfalls verlagert. Vieles spricht dafür, dass das sogar deutlich teurer wird“, so Dr. Josef Wöss von der Arbeiterkammer Wien.

Mindestrente: Sybilla Wojslaw ist Krankenschwester in einer Wiener Privatklinik. Wie viele andere Erwerbstätige auch, wird sie bis zu ihrer Rente weder den Durchschnittsverdienst noch 45 Beitragsjahre erreichen. Insgesamt wird sie vielleicht auf 35 Jahre kommen. Es könnte ein bisschen knapp werden, fürchtet sie. Allerdings wird ihre Rente immer noch weit über der Armutsgrenze liegen.

Alle, die nur eine Rentenhöhe unterhalb der Armutsgrenze erreichen, haben Anspruch auf eine Ausgleichszahlung. Finanziert aus Steuermitteln. Eine Art Mindestrente. Deutlich höher und weniger bürokratisch als die Grundsicherung in Deutschland.

„Wenn das Haushaltseinkommen bestimmte Grenzen nicht erreicht, das ist für eine alleinstehende Person 890 Euro im Monat beziehungsweise für einen Paar-Haushalt 1350 Euro, wenn diese Einkommensgrenze nicht erreicht wird, dann wird die Differenz zwischen der eigenen Pensionshöhe und dieser Ausgleichszulagengrenze zugezahlt“, so Magistra Christine Mayrhuber vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO). Geprüft wird dafür nur das Einkommen. Nicht das Vermögen. Senioren in Österreich können ihr Erspartes und ihr Auto behalten.

Binnennachfrage: Der Wiener Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister war lange Jahre Gastprofessor an internationalen Universitäten. Gerade ist er selbst in Pension gegangen. Sein Credo: Übermäßiges Sparen bei den Renten schadet am Ende der Wirtschaft. „Ich glaube, Deutschland ist mit dem Sparen bei den Renten nicht am richtigen Weg, weil man ja damit systematisch die Konsumnachfrage dämpft und auch die soziale Ungleichheit in der Gesellschaft erhöht.“

Rentenreformen: Allerdings fällt auch in Österreich das Geld nicht vom Himmel. In den nächsten Jahren wird die Versorgung der Beamten an die der Normalbürger angeglichen und die Renten werden abgesenkt. Sie bleiben aber auch in Zukunft erheblich höher als in Deutschland.

Was können wir lernen?

Die Abgeordneten aus Berlin haben zwei Tage intensive Gespräche geführt. Was nehmen sie mit? Was können wir lernen? Dr. Martin Rosemann (SPD) meint: „Österreich hat Mindestsicherungselemente in der Rentenversicherung, sowas wollen wir, will Andrea Nahles mit der Solidarrente auch einführen, um Altersarmut zu verhindern und Lebensleistung besser anzuerkennen.“

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Bündnis 90/ Die Grünen) erklärt: „Der Punkt, wo wir am meisten lernen können, ist, wie alle Erwerbstätigen einbezogen worden sind, wie auch die Renten, Pensionen von Beamten, jetzt harmonisiert werden über einen längeren Zeitraum.”

Matthias W. Birkwald (Die Linke) denkt: „In Deutschland haben wir viel zu sehr auf kapitalgedeckte Altersvorsorge geschaut. Die ist, wie sich jetzt in der Niedrigzinsphase zeigt, gescheitert. Österreich hat das besser gemacht. Auf die Umlage gesetzt, und das sollten wir in Deutschland auch wieder tun.“

Sorgenmacher

Und es gibt auch noch eine psychologische Komponente. Ein Klima der Zukunftsangst schadet dem Konsum und auch der Wirtschaft. Das lehre die Erfahrung, meint Stefan Schulmeister:

„Wenn man sich in einem Land immer Sorgen macht um die Renten, dann wird allein durch das Sorgen machen das Wirtschaftswachstum gedämpft und die Finanzierbarkeit der Sozialsysteme und auch der Rentensysteme verschlechtert. Und in Österreich sind wir, glaube ich, weniger gut im Sorgen machen als in Deutschland.“

Den Lebensstandard sichern in der gesetzlichen Rente? Das ist tatsächlich machbar und gar nicht mal so schwer. Wenn – wie in Österreich – der politische Wille dazu vorhanden ist.

Ein Beitrag von Ingo Blank