DIE LINKE im Bundestag
100% sozial
Matthias W. Birkwald

Bekämpfung der Altersarmut? Fehlanzeige!

Bewertung der rentenpolitischen Beschlüsse des Koalitionsgipfels und des BMAS-Konzepts zur Alterssicherung

28.11.2016

Zusammenfassung

"Das, was die Koalition von Union und SPD den heutigen und zukünftigen Rentner*innen real anbietet, ist viel zu wenig", kommentiert Matthias W. Birkwald, rentenpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE, die Koalitionsbeschlüsse und das 60-Seiten-Papier des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS). Birkwald weiter:

"Donnerstagnacht wurden nach wochenlangem Ankündigungsgetöse nur zwei Änderungen beschlossen. Eine richtige, aber zu kurz greifende, für die Erwerbsminderungsrente und die Angleichung der Ostrenten in sage und schreibe sieben Schritten.

Eine durchschnittliche volle Erwerbsminderungsrente liegt heute bei 711 Euro. Der anerkannte Grundsicherungsbedarf von Erwerbsminderungsrentner*innen liegt bei 766 Euro. Deshalb werden von 50 Euro mehr Erwerbsminderungsrente die wenigsten zukünftigen Rentner*innen real profitieren. Die große Mehrheit der zukünftigen kranken Renter*innen wird weiter auf die Grundsicherung angewiesen bleiben und von dem Geld nichts sehen. Die heutigen Erwerbsminderungsrentner*innen gehen komplett leer aus. Zu kurz gesprungen, Frau Nahles!

DIE LINKE fordert deshalb mit den Sozialverbänden und Gewerkschaften eine Abschaffung der Abschläge in Höhe von durchschnittlich 76 Euro! Dann wären die Erwerbsminderungsrenten zwar immer noch nicht armutsfest, aber die Betroffenen wenigstens aus der Grundsicherung raus.

Die ostdeutschen Rentner*innen werden von Union und SPD bis Juli 2025 auf gleiche Rentenwerte vertröstet und die Beschäftigten werden durch den Wegfall der Umrechnung drastische reale Kürzungen hinnehmen müssen! Es darf nicht dazu kommen, dass zukünftige Rentner*innen im Osten für die katastrophale Lohnentwicklung bestraft werden! Nach wie vor liegen die Löhne und Gehälter von sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigten im Schnitt 24 Prozent unter denen im Westen.

Über diese enttäuschenden Beschlüsse können auch die heute vorgelegten 60 Seiten Lyrik aus dem Ministerium von Andrea Nahles nicht hinwegtäuschen. 46 Prozent Rentenniveau bedeuten nichts anderes als eine Absenkung der heutigen Standardrente um 57 Euro. Solche Alibi-Haltelinien beim Rentenniveau reichen bei Weitem nicht aus, um den Lebensstandard im Alter zu sichern.

Und auch die 80 Euro mehr Grundsicherung im Alter für langjährig Beschäftigte stehen nur auf dem Papier. Sie sind weder beschlossen, noch schützen zukünftig 879 Euro Grundsicherung statt 799 Euro vor Altersarmut. Die offizielle EU-Armutsschwelle liegt bei 1.033 Euro!

Wer macht eigentlich die Rentenpolitik in unserem Land? Ministerin Nahles oder Finanzstaatssekretär Jens Spahn?

DIE LINKE kämpft gegen die Spahnisierung der Alterssicherungspolitik und für ein lebensstandardsicherndes Rentenniveau von 53 Prozent und eine einkommens- und vermögensgeprüfte Solidarische Mindestrente von 1.050 Euro. Dann könnten die Menschen zuversichtlich und ohne Angst vor Altersarmut in die Zukunft sehen. So wie in Österreich. Frau Nahles, fahren Sie endlich nach Wien und lassen Sie sich mal von Ihrem Amtskollegen erläutern, wie man 1.030 Euro Mindestrente und 1.829 Euro Durchschnittsrente bei Männern (und immerhin 1.130 bei Frauen) hinbekommt:

Die Stärkung der Gesetzlichen Rente ist das Gebot der Stunde."

Detaillierte Bewertung

1. Ost-West-Rentenangleichung

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles wollte die Ostrenten ab 2018 bis 2020 in zwei Schritten an das Westniveau angleichen. Die Kosten dafür bezifferte sie mit je 1,8 Milliarden Euro in 2018 und 2019 und mit 3,9 Milliarden Euro in 2020. Frau Nahles will zugleich aber die Umrechnung (die fälschlicherweise so genannte "Hochwertun"“) abschaffen, die die Einkommen der Ost-Arbeitnehmer*innen bei der Berechnung ihrer künftigen Rente mit denen im Westen vergleichbar macht.

Die im Koalitionsvertrag vorgesehene Angleichung der Rentenwerte in Ost und West und das Abschmelzen der Umrechnung (sog. "Hochwertung") der Ostentgelte soll zum 1. Juli 2018 beginnen und bis zum Jahre 2025 abgeschlossen werden. Es ist vorgesehen, dass die Renten im Osten zusätzlich pro Jahr stärker steigen als im Westen, um den Rentenabstand abzubauen. Gleichzeitig solle aber auch die Umrechnung der Ost-Löhne bei der Rentenberechnung abgeschmolzen werden.

Matthias W. Birkwald dazu:

"Die Menschen im Osten haben schon viel zu lange warten müssen, dass ihre Lebensarbeitsleistung genauso rentenrechtlich anerkannt wird wie im Westen. Hier hat sich Andrea Nahles mal wieder die Zähne an Finanzminister Wolfgang Schäuble ausgebissen. Und die Bundeskanzlerin hat das nicht verhindert – trotz ihrer jahrelangen Versprechen.

DIE LINKE fordert eine schnellere Rentenangleichung bis 2018. Und ganz wichtig: Die Umrechnung muss unbedingt so lange erhalten bleiben, bis die Löhne annähernd angeglichen sein werden, denn gegenwärtig liegen die Löhne von sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigten im Osten im Durchschnitt 24 Prozent unter den Löhnen im Westen.

Die Streichung der Umrechnung wäre ein herber Schlag für alle heutigen und zukünftigen Beschäftigten, die mit ihrer Arbeit zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beitragen. Sie werden bei ihrem künftigen Renteneintritt dramatisch niedrigere Renten erhalten und damit für die katastrophale Lohnentwicklung der vergangenen Jahre im Osten bestraft. Dazu darf es nicht kommen!"

2. Erwersbminderungsrenten

Die Berechnung der Erwerbsminderungsrente aus der Gesetzlichen Rentenversicherung wird durch eine schrittweise Verlängerung der Zurechnungszeit für Neuzugänge von 62 Jahre bis auf 65 Jahre im Zeitraum zwischen 2018 und 2024 nochmals nachjustiert werden und so eine spürbare Verbesserung bei der Alterssicherung bewirken. Die bestehenden Abschläge bleiben unverändert.

Drei Jahre an zusätzlichen Zurechnungszeiten bringen immerhin durchschnittlich 50 Euro netto monatlich.

Aber: An den unsystematischen Abschlägen in Höhe von durchschnittlich 75,85 Euro wird nicht gerüttelt.

Matthias W. Birkwald dazu:

"Kranke Menschen in Erwerbsminderungsrente brauchen jetzt deutliche Leistungsverbesserungen und nicht erst in acht Jahren. Die durchschnittliche (volle) Erwerbsminderungsrente liegt aktuell bei 711 Euro und damit deutlich unterhalb des Grundsicherungsbedarfs bei Erwerbsminderung von 766 Euro. Niemand wird absichtlich krank! Darum müssen die unsystematischen Abschläge abgeschafft und die Zurechnungszeit auf 65 Jahre angehoben werden. Dann betrüge die durchschnittliche EM-Rente rund 836 Euro. Immer noch unter den notwendigen 1.050 Euro und somit zu wenig, aber oberhalb der heutigen Schwelle zur Grundsicherung. Davon würden immerhin alle Menschen, die von Erwerbsminderungsrente leben müssen, auf einen Schlag profitieren."

3. Betriebliche Altersvorsorge

Hier hat sich die Koalition bereits auf eine Reform geeinigt, die noch dieses Jahr ins Kabinett kommen und 2018 in Kraft treten soll. Vorgesehen ist, dass Arbeitgeber*innen künftig von der Haftung für eine bestimmte Rentenleistung entbunden werden können. Festgelegt werden soll dies in den Tarifverträgen. Für das Modell soll eine "Opt-Out-Regel" gelten. Der Gesetzentwurf zur Stärkung der betrieblichen Altersversorgung soll zügig im Parlament eingebracht und verabschiedet werden.

Matthias W. Birkwald dazu:

"Nachdem die Riester-Rente komplett gescheitert ist, sollen es nun die Betriebsrenten richten. Weil die Arbeitgeber*innen nur noch die Beitragszahlung zusagen, nicht aber mehr die Höhe der Leistungen, tragen die Beschäftigten die vollen Kapitalmarktrisiken. Das ist vollkommen inakzeptabel! Die Beschäftigten haben ein Recht auf eine verlässliche und auskömmliche Alterssicherung. Die gibt es – wie die Finanzmarktkrise gezeigt hat – nur bei der gesetzlichen Rentenversicherung."

Das Konzept des BMAS zur Alterssicherung

1. Rentenniveau

Nach derzeitiger Gesetzeslage darf das Rentenniveau von aktuell 48 Prozent bis 2030 auf 43 Prozent absinken. Nach Berechnungen des Bundesarbeitsministeriums fällt es bis zum Jahr 2045 auf 41,6 Prozent, wenn der Gesetzgeber nicht gegensteuert. Um das Niveau nicht zu stark absinken zu lassen, tritt Ministerin Nahles für eine "Haltelinie" von 46 Prozent ein – eine solche soll es aber auch für Beitragssteigerungen geben.

Matthias W. Birkwald dazu:

"46 Prozent bedeuten nichts anderes als eine Absenkung der heutigen Standardrente um 57 Euro. Solche Alibi-Halte- oder Ziellinien beim Rentenniveau reichen bei Weitem nicht aus, um den Lebensstandard im Alter zu sichern. Die Menschen müssen sich darauf verlassen können, wie hoch das Rentenniveau liegt und nicht nur ungefähr. Das ist billige Bauernfängerei, um die Debatte abzuwürgen. Ich hoffe sehr, dass sich die Gewerkschaften auf dieses Spielchen nicht einlassen werden.

DIE LINKE fordert deshalb ein Rentenniveau von mindestens 53 Prozent ohne Wenn und Aber. Es ist die Aufgabe der Politik, die Menschen vor dem sozialen Abstieg zu schützen, statt millionenfache Altersarmut zu produzieren. Das ist auch finanzierbar. Würden durchschnittlich Verdienende und ihre Arbeitgeber*innen nur je 33 Euro im Monat mehr an Rentenbeiträgen zahlen, könnten Durchschnittsverdienende sich die ihnen abverlangten 108 Euro an Riesterbeiträgen sparen. Sie hätten dann 75 Euro mehr im Portemonnaie und dennoch wieder eine lebensstandardsichernde Rente. Heutige Eckrentner*innen hätten 127 Euro Nettorente mehr."

2. So genannte "Solidarrente"

Für die im Koalitionsvertrag vereinbarte solidarische Lebensleistungsrente werden weiterhin unterschiedliche Modelle geprüft. Ursprünglich war eine sogenannte "solidarische Lebensleistungsrente" geplant, mit der aus Steuermitteln Rentenansprüche von Geringverdienenden aufgestockt werden sollten. Sie war für jene gedacht, die 40 Jahre lang Beiträge gezahlt, aber weniger als 30 Rentenpunkte angesammelt haben. Ministerin Nahles hat sich davon aber inzwischen verabschiedet und plant das neue Konzept einer "Solidarrente".

Einen zehnprozentigen Zuschlag auf die Grundsicherung im Alter will Nahles zufolge jenen zubilligen, die 35 Jahre lang beschäftigt waren, wobei Zeiten der Kindererziehung oder Pflege ebenfalls zählten. Auch bis zu fünf Jahre Arbeitslosigkeit sowie fünf Jahre Bezug von Erwerbsminderungsrente wolle Frau Nahles anrechnen. Ab dem Jahr 2023 sehe das Konzept mindestens 40 Beitragsjahre vor.

Wer allerdings über seinen Partner oder andere Einkünfte abgesichert sei, solle die neue "Solidarrente" nicht erhalten. Für Einkünfte aus betrieblicher oder privater Altersvorsorge solle eine Freibetragsregelung gelten. Anders als bei der ursprünglich vorgesehenen "Lebensleistungsrente" solle es die Aufstockung auch für diejenigen geben, die keine zusätzliche private oder betriebliche Altersvorsorge betrieben haben. Auf diese hätten im Jahr 2020 etwa eine halbe Million Menschen Anspruch.

Matthias W. Birkwald dazu:

"Zu kurz gesprungen, Frau Nahles! Eine zehn Prozent höhere Grundsicherung würde heute gerade einmal zu 879 Euro Sozialrente führen – nach 35 oder gar 40 Jahren Arbeit! Das ist viel zu wenig! Damit holt die Arbeitsministerin keinen einzigen Betroffenen aus der Altersarmut raus, denn die Armutsgrenze liegt heute schon bei rund 1.033 Euro (EU-SILC 2015).

DIE LINKE fordert deshalb eine einkommens- und vermögensgeprüfte Solidarische Mindestrente von 1.050 netto. Zugleich müssen wir alles dafür tun, dass es erst gar nicht so weit kommt. Wir brauchen deshalb einen gesetzlichen Mindestlohn von mindestens zwölf Euro brutto."

3. Pflichtversicherung für Selbstständige

Bundesministerin Andrea Nahles will alle Selbstständigen, die nicht in anderen Versorgungseinrichtungen versichert sind, dazu verpflichten, in die gesetzliche Rente einzuzahlen. Wieviel und auf welcher Grundlage ist bisher unklar.

Matthias W. Birkwald dazu:

"Die Einbeziehung von Selbstständigen in die gesetzliche Rentenversicherung ist ein wichtiger und richtiger Schritt. Er ist längst überfällig. Rund 2,5 Millionen Selbstständige verfügen über keinerlei Altersabsicherung. Wir müssen aber darauf achten, dass wir gerade Solo-Selbständige nicht finanziell überfordern. Frau Nahles hätte ruhig etwas mutiger sein können: Es ist doch niemanden vermittelbar, warum noch immer Ärzt*innen, Apotheker*innen, Politiker*innen und Beamt*innen privilegiert werden. Auch sie müssen in das Solidarsystem der gesetzlichen Rente einbezogen werden und endlich Beiträge in die Rentenkasse einzahlen!"