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Matthias W. Birkwald

Stärkung der Betriebsrente - Warum ein neues Gesetz die gesetzliche Rente schwächt

ARD Plusminus vom 13.09.2017

14.09.2017
ARD Plusminus vom 13.09.2017

Eilig, kurz vor der Bundestagswahl und nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit hat unsere Bundesregierung etwas beschlossen, das schwerwiegende Folgen für uns alle hat: Weniger Rente für Alle, im Schnitt 30 Euro pro Monat. Dabei klingt der Name des Gesetzes an sich ganz anders: Betriebsrentenstärkungsgesetz. Das soll uns eigentlich vor Altersarmut bewahren, verspricht die Regierung, bewirkt aber das genaue Gegenteil.

Betriebs- vs. Gesetzliche Rente

Mit einer Betriebsrente vorsorgen, und sich dabei vom Staat etwas spendieren lassen, wollte auch Rentnerin Angelika P. und wurde bitter enttäuscht. Lange hat sie einen Teil ihres Gehaltes über eine so genannte Entgeltumwandlung in eine Betriebsrente gesteckt, im guten Glauben so fürs Alter rechtzeitig vorzusorgen. Wenn etwas passiert, sollte der Staat nicht für sie eintreten müssen.

Erst spart die Entgeltumwandlung Steuern

Eigentlich hat eine Betriebsrente Vorteile für Arbeitnehmer. Und so funktioniert die Entgeltumwandlung: Verdient ein Arbeitnehmer zum Beispiel 3.000 Euro und zahlt davon 100 Euro in einen Betriebsrenten-Vertrag ein, mindert dies sein Bruttogehalt. Das heißt: Er muss nur noch 2.900 Euro versteuern.

Arbeitsministerin Andrea Nahles will erreichen, dass alle Arbeitnehmer eine solche Betriebsrente abschließen. Was sie verschweigt: Das wird zu Lasten der gesetzlichen Rente gehen.

Für den Arbeitsmarktexperten Stefan Sell, Sozialwissenschaftler an der Hochschule Koblenz, ist das ein echter Skandal: "Wir haben heute in der Rentenversicherung bereits weit über drei Milliarden Beitragsausfälle durch die Entgeltumwandlung, die heute fehlen. Und alle zukünftigen Rentner müssen diesen Ausflug einiger in die Entgeltumwandlung über geringere gesetzliche Renten mitfinanzieren."

Bei der Entgeltumwandlung landet weniger im Rententopf

Denn wer Entgeltumwandlung macht, zahlt neben geringeren Steuern auch weniger in die gesetzliche Rente ein: Verdient ein Arbeitnehmer 3.000 Euro, zahlt er rund 560 Euro in den gesetzlichen Rententopf. Zwackt er aber 100 Euro für die Entgeltumwandlung ab, zahlt er nur noch 540 Euro. Und wenn das künftig viele machen, schrumpft der Inhalt des Topfs, aus dem alle Rentner bezahlt werden.

Teure Folgen für alle Rentner

Der Rentenexperte und Wirtschaftswissenschaftler Volker Meinhardt hat ausgerechnet, was das bedeutet: "Wenn sich die Zahl der Entgeltumwandler tatsächlich erhöht, etwa verdreifacht, dann werden in der Zukunft die Rentner, alle, egal ob sie an dieser Entgeltumwandlung teilgenommen haben oder nicht, werden erst mal eine geringere Rente von etwa 30 Euro haben."

Auch Menschen, die bereits in Rente sind, werden das wahrscheinlich zu spüren bekommen, sagt Finanzmathematiker Werner Siepe. Ihre gesetzliche Rente wird nicht mehr so stark steigen: "Es ist ein Betriebsrenten-Stärkungs- und Gesetzliche-Rente-Schwächungsgesetz."

Rentnerin Angelika P. wird die Folgen wohl ebenfalls zu spüren bekommen, denn sie geht wegen ihrer gesunden Lebensweise davon aus, 90 Jahre alt zu werden. Sie habe dann 25 Jahre Renteneinbußen.

Auswirkungen vertretbar?

Gerne hätten wir die zuständige Ministerin Andrea Nahles dazu befragt. Doch ein Interview wird abgelehnt. Schriftlich heißt es:

»Diese Wirkungen waren im Vorfeld des damaligen Gesetzgebungsverfahrens ausführlich diskutiert worden. Sie sind nach Auffassung der Bundesregierung in Abwägung zu den gewichtigeren Vorteilen der Regelung auch nach wie vor vertretbar.«

Das sieht der Verein Direktversicherungsgeschädigter komplett anders und kritisiert die so genannte "Nahles-Rente" auch noch aus einem anderen Grund. Bei Auszahlung muss man nämlich auch weiterhin zehn Jahre lang volle Krankenkassenbeiträge zahlen, rund 18 Prozent.

Finanzmathematiker Werner Siepe rechnet die Verluste vor

Am Beispiel von Angelika P. wollen wir klären, ob sich eine Betriebsrente überhaupt lohnt. Finanzmathematiker Werner Siepe rechnet die Zahlen durch: Eingezahlt hat sie nach Abzug der Steuerersparnis rund 22.000 Euro. Ausgezahlt bekam sie 50.000 Euro. Doch dabei bleibt es nicht, erläutert der Experte: "Sehr schnell meldet sich das Finanzamt und verlangt 17.000 Euro an Steuernachzahlung. Die Krankenkasse verlangt ihren Anteil. Dann werden nochmal 9.000 Euro abgezogen. Und was viele vergessen, da sich ja ihr Gehalt vermindert hat, hat sie auch weniger Rentenbeiträge in die Gesetzliche Rente gezahlt. Also mindert sich ihre gesetzliche Rente über die gesamte Rentenlaufzeit. In diesem Fall 12.000 Euro."

Das macht im Vergleich zur Einzahlung ein Minus von 10.000 Euro. "Diese Anlage hat sich in keinster Weise gelohnt. Sie war ein Flop", meint Werner Siepe dazu.

Angelika P. ist von dem Ergebnis baff. Unter dem Kopfkissen hätte es zwar keine Zinsen, aber auch nicht so hohe Verluste gegeben, meint sie.

Nachbesserung und echte Verbesserungen

Auch beim zuständigen Ministerium hat man wohl Nachbesserungsbedarf erkannt. Künftig sollen die Arbeitgeber 15 Prozent zur Betriebsrente zuschießen. Zu wenig, sagen Experten. Angelika P. hätte der Zuschuss auch nicht gerettet. Finanzmathematiker Werner Siepe hat ausgerechnet, dass sie noch immer ein Minus hätte, statt 10.000 Euro "nur" noch 4.000 Euro

Fazit: Das neue Betriebsrentenstärkungsgesetz: Große Versprechen, wenig dahinter.

Prof. Dr. Stefan Sell, Sozialwissenschaftler an der Hochschule Koblenz, hat dazu eine klare Meinung: "Die Arbeitnehmer sind die klaren Verlierer und insofern wird sich das nochmal, ja, als ein bitterer Treppenwitz der Geschichte herausstellen, dass so ein Gesetz von einer sozialdemokratischen Ministerin auf den Weg und durchs Parlament gebracht wurde."

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