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Matthias W. Birkwald

Flexi-Rentengesetz atmet den Geist des Arbeitens bis zum Umfallen

Rede von Matthias W. Birkwald am 21.10.2016 im Bundestag

21.10.2016
Matthias W. Birkwald, DIE LINKE: Flexirentengesetz atmet den Geist des Arbeitens bis zum Umfallen

Hier geht es zur Begründung, warum sich die Fraktion DIE LINKE. bei der Abstimmung des Gesetzentwurfs enthalten hat

Rede von Matthias W. Birkwald (DIE LINKE)

Zweite und Dritte Lesung des Gesetzes zur Flexibilisierung des Übergangs vom Erwerbsleben in den Ruhestand und zur Stärkung von Prävention und Rehabilitation im Erwerbsleben (Flexi-Rentengesetz), Drucksache 18/9787, LINKE Grüne, Drucksachen 18/3312, 18/5212, 18/5213, 18/10065

Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ihr Flexi-Rentengesetz, liebe Koalition, bietet keine Lösungen für Menschen, die von ihrer Arbeit krank werden, die unter zu viel Arbeit leiden, die im Niedriglohnsektor zu wenig Rentenansprüche erwerben oder die im Alter erwerbslos werden.

Herr Kollege Linnemann, die Linke hat nichts dagegen, wenn jemand länger arbeiten kann und will, und die Linke hat auch nichts dagegen, wenn sich manche Menschen dadurch mehr Rente erarbeiten.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber die Linke kämpft ganz entschieden dagegen, dass die Menschen länger arbeiten müssen,

(Beifall bei der LINKEN)

und die Menschen müssen heute länger arbeiten, weil SPD, Grüne und Union das Rentenniveau abgesenkt haben, weil Union und SPD diese unsägliche Rente erst ab 67 eingeführt haben und weil sie Möglichkeiten des frühzeitigen Ausstiegs, zum Beispiel die Rente für Frauen ab 60, ebenso abgeschafft haben wie die geförderte Altersteilzeit. Das, meine Damen und Herren, ist der falsche Weg.

(Beifall bei der LINKEN)

Viele Menschen können gar nicht länger arbeiten: nicht bis 63, nicht bis 65 oder 67 und schon gar nicht bis 69, 70, 73 oder 85 - um einmal all diese Wahnsinnsvorschläge aus der Union und dem Arbeitgeberlager der vergangenen Wochen zu nennen. Metallarbeiter müssen zum Beispiel durchschnittlich im Alter von 60 Jahren aus ihrem Beruf aussteigen und Gebäudereinigerinnen sogar schon im Alter von 59 Jahren und 11 Monaten. Die können dann nicht mehr. Diese Beschäftigten, liebe Koalition, lassen Sie komplett im Regen stehen. Für solche hart arbeitenden Frauen und Männer sollten Sie gute Altersübergänge finden.

(Beifall bei der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit dem Jahr 2000 haben Sie das Rentenniveau bereits um gut 9 Prozent gekürzt, und Sie werden es bis 2030 noch einmal um 7,5 Prozent kürzen. Das heißt, die Rente folgt immer weniger den Löhnen. Doch damit nicht genug: Erstens. Die Rente erst ab 67 wird im Jahr 2031 für eine dann 63-Jährige eine drastische Rentenkürzung von 14,4 Prozent bedeuten. Zweitens. Die Erwerbsminderungsrenten werden schon heute im Schnitt um 85 Euro gekürzt.

Ich fordere Sie auf: Streichen Sie die systemwidrigen Abschläge bei der Erwerbsminderungsrente, und berechnen Sie die Rente so, als wenn die Menschen bis 65 Jahre durchgehalten hätten!

(Beifall bei der LINKEN)

Das würde kranken Menschen den flexiblen Übergang in den Ruhestand sehr viel leichter machen.

Weil Sie so nett lächeln, verehrte Frau Ministerin Nahles: Genau das tun Sie nicht. Ihr Flexi-Rentengesetz atmet den Geist des Arbeitens bis zum Umfallen.

(Widerspruch bei der CDU/CSU und der SPD)

- Sinngemäß habe ich gerade Leni Breymaier, die designierte Landesvorsitzende der SPD in Baden-Württemberg, zitiert; das sei nur nebenbei bemerkt. - Darum werden wir ihm auch nicht zustimmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Im Einzelnen.

Erstens. Wer neben einer vorgezogenen Altersrente ab 63 Jahren bis zu 6 300 Euro im Jahr hinzuverdient, muss künftig Beiträge in die Rentenkasse einzahlen. Damit erhöht sich dann seine oder ihre Rente, und das ist - Achtung, ich lobe die Regierung - gut.

(Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD): Geht doch!)

Allerdings kann man mit ungefähr 5 Euro Rente mehr im Monat Altersarmut nicht bekämpfen. Darauf wies übrigens, liebe Union, die Sachverständige der Caritas in der Anhörung hin.

Zweitens. Als Rentnerin oder Rentner kann man schon heute nach Erreichen der Regelaltersgrenze weiterarbeiten - ohne jede Hinzuverdienstgrenze. Künftig darf man nach Ihrem Gesetz als arbeitender Regelaltersrentner auch in die Rentenkasse einzahlen und sich so die eigene Rente erhöhen; das hat Kollege Rosemann vorgetragen. Auch das ist gut. Aber ist es auch notwendig? Wer heute als Rentner nach der Regelaltersgrenze unbegrenzt dazuverdienen darf, zahlt weder Arbeitslosen- noch Rentenversicherungsbeiträge. Sie oder er hat also deutlich mehr Netto in der Tasche.

Noch attraktiver: Wer bereits heute nach geltendem Recht erst ein Jahr oder später nach seiner oder ihrer Regelaltersgrenze in die Rente geht, erhält später eine um fast 9 Prozent höhere Rente. Also, aus 1 000 Rente werden dann 1 090 Euro Rente - nach nur einem Jahr. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist nicht bekannt, aber es ist attraktiv genug. Mehr Anreize zum Arbeiten bis zum Umfallen, Herr Kollege Linnemann, braucht es nun wirklich nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Drittens. Richtig zweischneidig wird es bei Reha und Prävention. Prävention und Nachsorge werden jetzt mit der traditionellen Rehabilitation gleichgestellt. Schön, nur: Das nötige Geld dafür geben Sie der Rentenversicherung nicht. Ich sage: Jede und jeder Kranke, die oder der eine Rehamaßnahme braucht, muss sie auch erhalten. Darum fordere ich Sie auf: Schaffen Sie den Rehadeckel ab, und sorgen Sie dafür, dass genug Geld in den Rehatopf fließt.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Lawall von der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Rehabilitation hat in der Anhörung gewarnt: Prävention und Nachsorge drohen wegen der begrenzten finanziellen Mittel gegen andere Leistungen ausgespielt zu werden. Dazu, meine Damen und Herren, darf es nicht kommen.

(Beifall bei der LINKEN)

Viertens. Sie wollen die Rentenauskunft verbessern. Das ist gut, aber mehr Informationen helfen niemandem, wenn sie nicht verstanden werden. Darum fordere ich Sie auf: Sorgen Sie für Renteninformationen und Rentenauskünfte in verständlicher Sprache.

(Beifall bei der LINKEN)

Fünftens. Die Beschäftigten sollen künftig ab 50 Jahren die Möglichkeit haben, zusätzlich und freiwillig Rentenbeiträge einzuzahlen. Warum erst ab 50? Und warum nur zum Rückkauf der Abschläge? Freiwillige Zusatzbeiträge sind eine großartige Alternative zur gefloppten Riester-Rente. Ich fordere Sie auf: Seien Sie nicht hasenfüßig, und sorgen Sie dafür, dass auch jüngere Menschen freiwillige Zusatzbeiträge auf ihr persönliches Rentenkonto einzahlen können.

(Beifall bei der LINKEN)

Sechstens. Sie schaffen bei arbeitenden Rentnerinnen und Rentnern den Arbeitgeberbeitrag für die Arbeitslosenversicherung ab. Damit wird die Beschäftigung von Rentnerinnen und Rentnern billiger für die Unternehmen. Hören Sie auf, Ältere gegen Jüngere auszuspielen, und verzichten Sie darauf, den isolierten Arbeitgeberbeitrag zu streichen.

(Beifall bei der LINKEN)

Siebtens. Die Rentenversicherung und der DGB halten Ihre Neuregelung der Teilrente für misslungen. Ich halte sie für katastrophal. Die sogenannte Spitzabrechung ist extrem kompliziert. Das wird niemand verstehen.

(Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Das ist nicht das Einzige, was Sie nicht verstehen!)

Das wird zu großem Unmut bei den Teilrentnerinnen und Teilrentnern führen. Viele von ihnen werden nämlich regelmäßig Rente zurückzahlen müssen; denn ihre Rentenbescheide werden Jahr für Jahr wieder aufgehoben und die Rente neu berechnet werden müssen. Irre!

Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist kein gutes Gesetz. Die Linke hingegen hat einen guten Antrag vorgelegt.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD - Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Das ist jetzt aber überraschend!)

Wir fordern: Alle Versicherten sollen wieder ab 65 ohne Abschläge in Rente gehen dürfen.

(Beifall bei der LINKEN)

Nach 40 Beitragsjahren, also nach 40 Jahren Arbeit und Kindererziehung, muss man schon ab 60 abschlagsfrei in Rente gehen können.

(Beifall bei der LINKEN)

Dann hätten wir altersgerechte Übergänge in die Rente.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)